Durch die weiße Einsamkeit: Mit Ski und Pulka über den Schwedischen Königspfad - xc-ski.de Langlauf

Durch die weiße Einsamkeit: Mit Ski und Pulka über den Schwedischen Königspfad

Landeanflug © Thorsten Kutschke

Der Schwede an sich – das ist bekannt – liebt das Abenteuer an der frischen Luft. Kein Wunder, davon gibt’s mehr als genug in diesem faszinierenden Land. Und es gibt ein paar Dinge, die MUSS jeder Schwede einmal im Leben getan haben. Die Teilnahme beim berühmten „Vasaloppet“ gehört dazu – und: Eine Wanderung über den schwedischen „Königspfad“, den Kungsleden! Der führt entlang der norwegischen Grenze von Lappland bis hinunter nach Dalarna – und vor allem der nördliche Teil erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Mehr als 50.000 Wanderer werden dort inzwischen pro Saison gezählt. Der Kungsleden ist zum Pilgerpfad geworden.

Wir wollen das Abenteuer im Winter wagen – denn in der kalten Jahreszeit lockt weiße Einsamkeit in der königlichen Wildniss. Oder DROHT sie eher? Wer einmal einen Schneesturm im skandinavischen Fjell erlebt hat, der weiß, dass man sich im winterlichen Lappland mit allerhöchstem Respekt vor den Launen der Natur bewegen sollte. „Safety first!“ – das ist schon bei unseren Planungen in der Heimat das Motto. Obwohl die Strecke von Abisko nach Vakkatovare nur 111 Kilometer lang und mit 7 Fjellstationen am Wegesrand „gespickt“ ist, entscheiden wir uns bei der winterlichen Lappland-Premiere fürs „große Gepäck“. Mit Pulka, Zelt, Kochern und dicken Daunenschlafsäcken bepackt wie tibetische Yaks sind wir von Berlin über Oslo über den Polarkreis in die norwegische Hafenstadt Narvik geflogen (wer bei Norwegian Air zeitig bucht, kommt da sehr preiswert!). Der Landeanflug mit Blick auf die verschneiten Lofoten läßt das Skifahrer-Herz schön höher schlagen, von Narvik aus geht es auf Schienen mit der „Erzbahn“ weiter in Richtung Kiruna. Zwei Tage Anreise für sieben Tage Einsamkeit … – aber, soviel sei vorweg genommen – wir werden´s nicht bereuen!

In Abisko steigen wir aus dem komfortablen Zug – und werden schon erwartet. Janko Neuber ist mit Gattin Solveig aus der Gegenrichtung angereist, direkt vom letzten Saison-Weltcup der Langläufer in Falun, wo er als Bundestrainer seine Damen noch über die Wettkampfstrecken gescheucht hat. Jetzt kommt anderes Material unter die Füße: die breiten Backcountry-Skier mit Schuppen und Stahlkante scheinen uns für die Querfeldein-Tour das geeignete Brett. Ronny und Max machen eine Ausnahme: Die beiden Münchener schwören auf ihr ultraleichtes Touren-Ski-Equipment.

Es ist Ende März, als wir das hölzerne Eingangstor zum Kungsleden passieren, wir sind zu siebent und haben die Lasten verteilt auf drei große Pulken und in vier Rucksäcke. Der ständige Wechsel beim Gepäcktransport wird sich als guter Plan erweisen – weder fangen die Rucksäcke (bepackt mit den dicken, aber leichten Daunen-Sachen, Wechsel-Mützen und –Handschuhen sowie der Tagesverpflegung) an zu drücken, noch nervt auf Dauer das beständige Ruckeln des Schlitten-Geschirrs. 15 Kilometer wollen wir am ersten Tag schaffen, bis zur Hütte „Abiskojaure“. Es graupelt ein paar Schneeflocken vom grauen Himmel, wir folgen einem breiten Flusstal – das Auge sucht (noch) vergeblich nach grandiosen Ausblicken. Zum Warmlaufen taugt diese Etappe allemal – und an der Hütte können wir schon mal den „Ernstfall“ proben. Zwei schwedische Schulklassen sind nämlich zum Wandertag in der Behausung eingekehrt (auch auf Skiern natürlich!), die Bude ist rappelvoll – also entschließen wir uns, die Zelte aufzubauen. Was dem gesunden Tiefschlaf keinerlei Abbruch tut…

Das wirklich große Natur-Abenteuer erleben wir in den folgenden sechs Tagen… Hinter Abiskojaure geht es in die Berge, teils steil bergauf – wohl dem, der Felle unter den Brettern hat. Mystisch mitunter die Stimmung unterm spätwinterlichen Himmel, die Sonne hinter einem Schleier von Schneewolken nur zu erahnen, der Wind mitunter sehr frisch, aber gottlob bläst er aus Norden – also von hinten! Immer wieder reißen die Wolken auch kurz auf und geben Blicke frei auf die großartige Gebirgslandschaft, in der wir uns bewegen… Wer da glaubte, Lappland sei flach wie ein Bügelbrett, der irrt gewaltig. Bis auf über 2000 Meter ragen hier manche Gipfel in den Himmel, über allen thront der Kebnekaise, Schwedens höchster Berg. Von der ursprünglichen Idee, diesen – quasi am Wegesrand – besteigen zu wollen, waren wir schon zu Hause beim Packen abgekommen, ohne Seile und Eisausrüstung geht an diesem Gipfel gar nichts. Und ob wir über den handtuchschmalen Gipfelgrat wirklich bis ganz hinauf gekommen wären? So wie der Wind immer weiter auffrischt, würde er uns da oben wahrscheinlich vom Grat blasen…

Am dritten Tag wird’s mal richtig ungemütlich… wie ein Nebelschleier fegt uns der Triebschnee um die Füße, manchmal sieht man die eigenen Skier nicht mehr! Phänomenal aber – ab Kniehöhe reicht die Sicht zumindest immer bis zum nächsten Wegzeichen! Der Winterweg verläuft streckenweise anders als die Sommervariante, ist aber mit rotmarkierten Holzpfählen bestens ausgewiesen. Verlaufen eigentlich unmöglich – es sei denn, es bricht doch einmal einer der berüchtigten Wetterstürze über das Gebirge herein. Wir bleiben dicht beieinander – und vor allem ruhig. Das Szenario für den Ernstfall ist klar abgesprochen: Keine Experimente im White-Out! Wir haben Zelte dabei, für den absoluten Notfall auch Lawinenschaufeln, mit denen wir uns eine Schneehöhle buddeln und das Ärgste aussitzen könnten… Soweit kommt es zum Glück nie! Jeden Tag erreichen wir locker die nächste Hütte und erfreuen uns an uriger Gemütlichkeit.

Schon in Abisko hatten wir unsere Jahresbeiträge für den STV (Svenska Turistföreningen) eingezahlt, eine Organisation ähnlich dem Alpenverein in Deutschland. Der betreibt und verwaltet auch die Hütten im Fjell, und die Investition lohnt sich für uns. Denn schon nach der 4. Übernachtung haben wir mit den Rabatten vor Ort den Jahresbeitrag wieder herein-“gewirtschaftet“. Ab Mitte März sind die Hütten mit Personal besetzt, vorher gibt’s nur die Winter-Räume. Alles Notwendige (Nudeln, Gaskartuschen, Ketchup, Tee, Kekse, auch Leicht-Bier) kann man in den winzigen Shops nachkaufen. Heizen muss man seinen Schlafraum und die kleine Küche selbst. Auch das ständige Aufhacken der Eislöcher fürs Wasserholen und das schweißtreibende Holzhacken bleibt hier traditionell den Gästen überlassen. Kein Hotel-Feeling also, aber das wollten wir ja auch nicht – wir haben´s wohlig warm und trocken. Und herrlich ruhig – kein Handy-Empfang weit und breit!!!

Der scharfe Wind fordert dennoch seinen Tribut: Janko hat leichte Erfrierungen im Gesicht. Ausgerechnet unser Über-Sportler! Zum Glück hat Thomas nicht nur eine Sanitäter-Ausbildung, sondern auch die richtigen Tropfen im Marschgepäck, mit „Betaisodona“ werden die Stellen behandelt, danach mit dickem Tape-Verband schützend abgedeckt. Von einer höchst unangenehmen Durchfall-Attacke mitten auf einem riesigen zugefrorenen See mal abgesehen, bleibt das der einzig unerfreuliche Zwischenfall.

Wenn wir kalte Finger, Bruchharsch in manchen Abfahrten oder umgekippte Pulken überhaupt als „Entbehrungen“ bezeichnen wollen, dann werden wir für diese an den letzten beiden Marsch-Tagen mehr als nur entlohnt: Strahlender Sonnenschein und Windstille! Auf dem Weg von Kaitumjaure bis nach Vakkatovare genießen wir endlos weite Fernblicke, mitunter rasten wir im T-Shirt. Keine Straßen zu sehen, keine Strom-Masten, keine Häuser – weit und breit nur verschneite Berge und in der Ferne die imposanten Gipfel des Sarek-Nationalparks, aufgereiht wie in einem Bilderbuch. Und wir? Winzige Punkte nur – mittendrin, beseelt von einer Ruhe, die ich so intensiv nur sehr selten gespürt habe, die Seele entschleunigt, der Kopf frei vom kleinkarierten Müll der Alltäglichkeiten.

Mann muss also nicht unbedingt einen 8000er besteigen, um ein wenig zu sich selbst zu finden und zu spüren, wie sich die weiße Einsamkeit anfühlt. Zumal hier nach der letzten Abfahrt ein Bus wartet, der uns samt Gepäck bequem über Gällivare nach Kiruna bringt, wo wir wieder in den Zug nach Narvik steigen.

Mit Blick auf den großartigen Fjord pfeifen wir drauf, dass die Bierbüchsen mit denen wir anstoßen, stolze 7 Euro kosten. Im Hohen Norden muss man´s eben nehmen, wie´s kommt…

Infos:

Wer will, kann die Tour fortsetzen über Kvikkjokk bis Hemavan, dort wird das Gelände allerdings noch unwegsamer, auch die Beschilderung ist nicht mehr ganz so komfortabel. Die „Hütten-Dichte“ lässt ebenfalls nach!

Informationen im Internet:
z.B. auf www.kungsleden.de (auch mit Übersichtskarten)
www.svenskaturistforeningen.se

An- und Abreise:
Günstig von Deutschland mit norwegian.no über Oslo und Narvik, dann mit dem Zug bis Abisko – wahlweise auch über Schweden mit SAS über Kiruna oder von Stockholm mit dem Zug gen Norden, Busse von Vakkatovare nach Gällivare verkehren täglich

Der Autor:
Thorsten Kutschke (42) lebt und arbeitet als freiberuflicher Journalist und Filmemacher in Dresden. Er moderiert u.a. das Bergsteiger-Magazin „Biwak“ im MDR-Fernsehen und berichtet seit mehr als einem Jahrzehnt auch den internationalen Ski-Zirkus. In eigener Regie verantwortet er die Berg-Film-Edition „Traumtouren-Film“ (im Internet unter www.traumtouren-film.de)

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