50 Jahre Ganghoferlauf: Geburtstagsparty mit Keksen, Pasta und viel Schnee - xc-ski.de Langlauf

50 Jahre Ganghoferlauf: Geburtstagsparty mit Keksen, Pasta und viel Schnee

Basilia Förster unterwegs © Lukas Dürnegger/xc-ski.de

Sonntagmittag, ?12:23 Uhr?. Meine Skatingski gleiten über glitzernden Schnee. Noch eine letzte Rechtskurve, dann gerade aus auf den Zielbogen zu. Ich erhöhe die Frequenz. Synchroner Stockeinsatz, rechtes Bein, synchroner Stockeinsatz, linkes Bein. Alles was ich noch an Energie habe, muss jetzt in den Schnee. Geschafft. Die Sonne strahlt mit mir um die Wette. Ich liebe Langlaufen. Vor allem im März bei Sonnenschein. In diesem Paradies.

Grüne Wiesen. Ortschaften in Wartebereitschaft für den Sommertourismus. Schnee haben diese Dörfer schon lang nicht mehr gesehen. Und wenn doch einmal über Nacht Schneeflocken am Boden liegenblieben, fräste der Fönsturm am nächsten Tag unerbittlich die weiße Schicht vom Untergrund. Dieses Bild könnte als Postkartenmotiv dem ausgefallenen Winter 2020 dienen. Gäbe es da nicht einen Ausweg. Eine Auffahrt in ein kleines Winterparadies. Ganz am Ende von Mittenwald schraubt sich eine enge Serpentinenstraße hinauf zur Tiroler Grenze. Wachposten sind keine mehr stationiert. Und dennoch ist der Übertritt sofort spürbar. Der Wald lichtet sich und gibt den Blick frei auf das weite Tal. Schneebedeckt, links wie rechts eingerahmt von steilen Berghängen im Wintergewand offenbart sich das Leutaschtal. Die imposanten Erhebungen auf drei Seiten dienen der Talbegrenzung. So wie Banden eine Arena begrenzen. Ein der Natur entsprungenes, gigantisches Skistadion. Die Engstelle am Taleingang haben früher Grenzsoldaten bewacht. Heute scheinen diese Aufgabe als eingefrorene Tannenbäume getarnte Wachmänner übernommen zu haben. Sie sorgen dafür, dass der Winter hier oben konserviert bleibt.

50. Jubiläum © Lukas Dürnegger/xc-ski.de

Vielleicht war es ein ebenso schneearmer Winter, in dem der Schriftsteller Ludwig Ganghofer das Leutaschtal entdeckte. Die Landschaft zog ihn derart in ihren Bann, dass er sein „Schloss Hubertus“ hier oben baute und gern und lange dort verweilte. Auf Ganghofers illustrer Gästeliste standen Namen wie Richard Strauß, Rainer Maria Rilke und Karl Valentin. Fünfzig Jahre lang findet nun schon zu seinem Gedenken der Ganghoferlauf statt. Und wie im achtzehnten Jahrhundert bei Ludwig Ganghofers Empfängen, stehen zum runden Geburtstag des ihm gewidmeten Laufs auch heute renommierte Gäste auf der Einladungsliste. Nun sind es weniger Literaten und Künstler, heute trifft sich die Skilanglaufelite. Dieses Jahr noch einmal mehr. Denn zum Jubiläum erhielt der Ganghoferlauf den Zuschlag zur Austragung der Skimarathon-Europameisterschaft. Der Volkslaufcharakter bleibt davon unberührt. Ganz im Gegenteil. Die Topografie des Leutaschtals bietet für Profis und Genussläufer gleichermaßen passende Strecken. Am Samstag auf den Klassikdistanzen eine sehr abwechslungsreiche Runde durch das obere Tal, immer wieder unterbrochen durch Ausflüge in die Ausläufer der begrenzenden Berge. Herausfordernde Anstiege, gefolgt von rasanten, aber machbaren Abfahrten. Die Skatingstrecke am Sonntag verläuft dagegen weitestgehend flach durch das Tal. Erstmals gibt es auch eine Kombiwertung, bestehend aus den Ergebnissen beider Tage. Das interessiert mich.

Startnummernausgabe beim Ganghoferlauf © Lukas Dürnegger/xc-ski.de

Eigentlich bin ich Sommersportlerin. Trailläuferin. Ich bin gerne lange unterwegs. Nicht so gern auf Asphalt. Lieber auf Wanderwegen, Pfaden. In der Natur. Mein Mann Michael ist Wintersportler, Langläufer. Auch er ist gerne lange unterwegs. Egal wo, Hauptsache auf Schnee. Im Sommer betreut er mich oft, im Winter ich ihn. Hier in Leutasch können wir beide an den Start gehen. Die Streckenlänge ist überschaubar, für Verpflegung an der Strecke sorgt der Veranstalter. Freitagabend holen wir die Startunterlagen. Die freiwilligen Helfer haben für jeden Läufer ein Lächeln übrig. Wir bekommen Startnummer, Gutscheine für die Pastaparty, das Schwimmbad und die Jubiläums-Finishermütze. Viele Läufer kommen jedes Jahr wieder. Meet and greet. Doch nicht zu lange. Wir müssen noch Ski wachsen. Zum Glück hilft uns unser Freund Christian. Die letzten Tage hat es noch einmal geschneit. Fantastisch fürs Panorama, schwieriger für das Steigwachs. Michael wird schieben. Ob ich das mit meinen deutlich dünneren Oberarmen auch schaffe? Ich will es probieren. Ich will auch mit einem schnellen Ski die Abfahrten hinuntersausen.

Basilia Förster im Ziel © Lukas Dürnegger/xc-ski.de

Samstagmorgen. 50 Kilometer warten auf uns. Gänsehaut überkommt mich im Startblock. Der Startschuss fällt. Die vorderen Läufer schießen aus dem Block, als wäre das Rennen ein Sprint. Ich bleibe defensiv. Die Spuren verengen sich. Nach zwei Kilometern geht es gleich steil hinauf oberhalb des Ortsteils Plaik. Ich vermisse mein Steigwachs. Ein paar Grätschschritte muss ich machen. Ich kämpfe mich zum höchsten Punkt. Abfahrtshocke. Wie auf Eisenbahnschienen gleite ich die Spur hinunter, hinein in die Rechtskurve. Genau der passende Radius für die nach außen ziehenden Fliehkräfte. Das Feld sortiert sich. Ich habe Spaß. Im Flachstück durchs obere Tal kann ich etwas durchschnaufen. Gleich geht’s wieder hinauf zur Panoramaloipe. Eine traumhafte Aussicht erwartet uns von hier. Wieder hinunter, nächstes Flachstück, wieder ein Anstieg, zum Schluss auf kupierter Loipe durch den Wald und zurück zum Start. Die Teilnehmer der 25 Kilometer Strecke biegen nun ab. Ich darf nochmal durch. Die Sonne kommt jetzt raus. Es wird warm. Zum Glück habe ich einen Ski für warme Bedingungen und das richtige Wachs. Danke Christian! Schweißperlen stehen mir auf der Stirn. An jeder Verpflegungsstation nehme ich einen Becher Isodrink. Meine Arme brennen. Warum habe ich bloß kein Steigwachs genommen. Mit letzter Kraft schiebe ich mich über die Ziellinie. 7. Frau. Cool. Soweit vorne war ich noch nie. Michael ist schon länger da. Naja, er hat auch dickere Oberarme. Aber Morgen beim Skatingrennen kommt mein Tag. Jetzt freue ich mich aber erstmal auf Kekse und Pasta.

Basilia Förster unterwegs © Lukas Dürnegger/xc-ski.de

Der Sonntagmorgen beginnt etwas überraschend mit Neuschnee. Christian hat mir aus Michaels zwanzig Jahre alten Skatern richtige Raketen gezaubert. Die Rennstrecke ist viel breiter als gestern. Skater brauchen Platz. Es ist trotzdem unübersichtlich. Michael habe ich gleich nach dem Start aus den Augen verloren. Er geht auch heute mit durchgewachsten Klassikski an den Start. So sammelt er Kilometer unter Wettkampfbedingungen für sein großes Abenteuer in Lappland. 220 Kilometer wird er dort im Doppelstockschub unterwegs sein. Jetzt geht es erstmal das Tal hinunter. Durch den Neuschnee ist Überholen schwierig. Nach knapp fünfzig Minuten geht’s wieder zurück. Das Tal leicht ansteigend hinauf. Ich kann einige Plätze gut machen. Am Start vorbei ist es nun schon richtig warm. Das dichte Schneetreiben ist strahlendem Sonnenschein gewichen. Fast wie im April. Die Strecke führt nun auf die Hohe Munde zu. Ihr Gipfel thront majestätisch auf 2.600 Metern Höhe über dem Tal. Im Sommer habe ich von da oben hinuntergeblickt. Nun skate ich im großen Bogen unterhalb vorbei und freue mich auf die letzten leicht bergab führenden fünf Kilometer. Es geht gerade auf den Zielbogen zu. Ich erhöhe die Frequenz. Synchroner Stockeinsatz, rechtes Bein, synchroner Stockeinsatz, linkes Bein. Alles was ich noch an Energie habe, muss jetzt in den Schnee. Ich strahle. Michael gratuliert mir. „Was machst du schon da?“ frage ich ihn erstaunt. Ich freue mich immer, ihn zu sehen, aber heute wollte ich ihn empfangen. Naja, nächstes Jahr gibt’s eine Revanche.

Nun gibt’s erstmal wieder Kekse, Pasta und … den Preis für den 2. Platz in der Kombiwertung der Damen. Was für eine Überraschung! Was für eine Freude! Ich blicke vom Podest auf der Bühne der riesigen Tennishalle hinunter. Strahlende Gesichter. Einige freuen sich über gewonnene Pokale, andere über Preise bei der Tombola. Jeder aber freut sich über ein großartiges Wochenende im Winterwonderland Leutasch. Und darüber, so leicht auf Ludwig Ganghofers Einladungsliste gekommen zu sein. Man muss nur am Ende von Mittenwald die Abzweigung ins kleine Paradies nehmen.

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