„Eat and sleep!“ – der beste Rat für den Nordenskiöldsloppet

Anne Staeves beim Nordenskiöldsloppet 2018 © Red Bull Nordenskiöldsloppet

Später wird mir allerdings leicht übel und ein bisschen schummerig. Ich muss langsamer machen. Mist, das kenne ich nicht von mir, was ist das? Wenn das nicht besser wird, muss ich aufgeben. In mir steigt leichte Verzweiflung auf. Ich versuche, mich zu beruhigen. „Es wird schon wieder besser werden, mach‘ nur langsam und vorsichtig weiter.“ Ich muss an saure Gurken denken, ich habe das Gefühl, die würden mir jetzt gut tun. Bei Läufen in Finnland gibt es die oft. An der nächsten Verpflegung frage ich danach, leider haben sie keine und ich mache mich wieder auf den Weg. Ein Mann, der etwas weiter entfernt stand, hat das gehört und ruft „Doch, warte, ich habe welche!“ und reicht mir eine handvoll Gurkenscheibchen. Und die helfen tatsächlich, mir ist bald wieder deutlich wohler und ich laufe weiter, so glücklich wie zuvor. An der Verpflegungsstelle „Granudden“ habe ich einen Kleidersack hinterlegt, an dem ich mich jetzt bediene. Es wird deutlich kälter und ich brauche eine Schicht Hemd und Handschuhe mehr. Es kommt sogar ein Tuch auf meinen Kopf, das mache ich selten, ist jetzt aber nötig. Zum Glück hatte ich mich von vornherein schon etwas wärmer angezogen als üblich, in dem Wissen, dass ich deutlich langsamer sein würde. An der letzten Verpflegung vor Purkijaur nehme ich mir zehn Minuten Zeit, der freundliche Helfer empfiehlt mir Gel. Aber das habe ich noch nie genutzt und möchte jetzt nicht damit anfangen. Danach geht es wieder auf den See, jetzt wird es empfindlich kalt, weil Wind dazukommt. Es zieht sich ein bisschen, ich kann das beleuchtete Startgelände schon von Weitem ausmachen, aber ich komme nur sehr langsam näher. Es beginnt zu dämmern und kurz vor Kilometer 200 kann ich die Stirnlampe ausschalten.

Mein Liebster ruft mir laut entgegen, er klingt besorgt und ich wundere mich darüber. Er sagt, dass sogar meine Mutter schon voll Sorge bei ihm angerufen hat. Ich verstehe nur Bahnhof, bis er mir erklärt: Beide haben im Internet meinen Fortschritt verfolgt. Und mein Pünktchen ist offenbar bei der vorletzten Verpflegung stehen geblieben und hat sich seitdem nicht von der Stelle bewegt. Einige andere Pünktchen genauso. Da stimmte was mit der Übertragung nicht, das hing wohl mit der Umstellung auf die Sommerzeit zusammen. Ich bin nach den 200 Kilometern jetzt doch ziemlich k.o. und leiste mir zwanzig Minuten Pause im warmen Zelt mit Suppe und reichlich Saft. Psychologisch ist das schon ein bisschen fies, wenn man müde wieder am Startpunkt ankommt, aber dann noch zwanzig Kilometer weiter laufen soll. Aber aufgeben kommt jetzt nicht mehr in Frage! Also los, auf die letzte Etappe. Am Horizont leuchtet ein tief orangefarbenes Morgenrot. Nach wenigen hundert Metern muss ich aber schon wieder stehen bleiben. Ich huste ganz fürchterlich, offenbar bekommt mir der Wechsel aus dem warmen Zelt in die jetzt sehr kalte Morgenluft nicht. Langsam schlurfe ich weiter, bis zum nächsten Hustenanfall. Nach einiger Zeit werden die Hustenpausen weniger, aber ich komme nur noch sehr langsam voran. Jetzt bin ich doch schon ziemlich erschöpft. Der sanfte Anstieg, über den ich sonst nur müde lächeln würde, fordert mich. Ich lasse mir einfach Zeit und schlappe langsam hinauf. Meine ganz heimlich angedachte Wunschzeit habe ich sowieso schon um Stunden überschritten. Aber das darf ich getrost auf die Bedingungen schieben, der leichte, aber kontinuierliche Schneefall hat erst vor einer halben Stunde aufgehört. Jetzt geht es nur noch ums Ankommen, egal, ob es eine Stunde früher oder später wird. Nach dem langen Anstieg kommt noch ein Stück mit vielen Hügelchen und Kurven, dann erreiche ich das 5-km-Schild.

Das Ziel

Anne Staeves im Ziel © Ralf Hellmann

Bald sehe ich die ersten Gebäude von Jokkmokk. Und höre wieder die laute, geliebte Stimme. Ralf kommt mir begeistert auf Skiern entgegen und begleitet mich auf den letzten Kilometern. Ich jammere ihm die Ohren voll und klage über jede weitere Kurve, die ich noch laufen muss. Er spricht mir gut zu und feuert mich an. Dann biege ich auf den letzten Kilometer ein, der in einem großen Bogen auf das Ziel zuführt. Auf den letzten Metern noch ein paar ziemlich kraftlose Doppelstockschübe. Dann bin ich tatsächlich im Ziel. Zum Arme hochreißen reicht die Kraft noch. Ich habe es tatsächlich geschafft! Ich kann es selbst kaum glauben. Glücklich falle ich meinem Liebsten in die Arme. Es sind sogar noch ein paar versprengte Zuschauer hier, die mich fotografieren. 220 Kilometer in 25 Stunden, 33 Minuten und 50 Sekunden. Die Zeit macht mich nicht glücklich, das Ankommen schon! In der Nachschau stelle ich fest, dass ich vorletzte bin: 14. Frau von 15, die ins Ziel gekommen sind. Am Start waren aber 41. Den folgenden Tag verbringe ich fast nur im Bett. Trotz der durchwachten Nacht kann ich lange nicht einschlafen. Das Herz klopft immer noch kräftig vor Erschöpfung und Glück. Dann versinke ich aber doch in einen tiefen Schlaf, unterbrochen von kurzen wachen Pausen, in denen ich esse. „Eat and sleep!“ diesen guten Rat befolge ich auch am Tag nach dem Lauf.

Infos zum Nordenskiöldsloppet findet ihr hier: www.nordenskioldsloppet.se