„Eat and sleep!“ – der beste Rat für den Nordenskiöldsloppet

Anne Staeves beim Nordenskiöldsloppet 2018 © Red Bull Nordenskiöldsloppet

Von Anne Staeves

„Go home, eat and sleep“ rät mir der Wachstechniker in Jokkmokk. Ich habe gerade meine Skier abgegeben, damit er sie mir für den morgigen Tag fachmännisch wachsen kann. 220 Kilometer soll das Wachs möglichst durchhalten – und ich hoffentlich auch. Ich frage ihn, wie er die Lage einschätzt, was der Wetterbericht sagt. Und er bestätigt, was ich schon gehört habe, aber nicht wahr haben will: Es soll schneien!

In meinem Gesicht spiegelt sich wohl wieder, was ich denke: „Wie um Himmels Willen, soll ich dieses größenwahnsinnige Unterfangen auch noch bei Neuschnee schaffen??“ Es ist doch ohnehin schon ein Fall grober Selbstüberschätzung, dass ich mich überhaupt hier angemeldet habe. Schließlich kann ich nicht mal gut Langlaufen. Ich mache die mangelnde Technik einigermaßen wett mit guter Ausdauer. Aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich noch nicht mal, ob ich überhaupt so lange wach bleiben kann, wie ich für diese Strecke brauchen werde. „Eat and sleep“ sagt er – und er hat ja so was von recht! Mehr als das kann ich jetzt eh nicht mehr tun und das Wagnis noch mit Kohlenhydrat- und Schlafmangel anzugehen, wäre erst recht dumm. Also geht es zurück in die Unterkunft, eine Hütte im Arctic-Camp Jokkmokk und ich lege mich aufs Ohr. Ich versuche zu schlafen, aber meine Gedanken kreisen um den morgigen Tag und darum, was mich hier hergebracht hat.

Die Vorgeschichte

Zum Langlaufen gekommen bin ich überhaupt nur durch einen Ermüdungsbruch im Jahr 2010. Mein Bein war im Winter noch nicht wieder belastbar genug fürs Marathon- geschweige denn Ultramarathonlaufen. Aber gleiten statt trampeln, das sollte schon funktionieren. So habe ich zunächst ein paar Loipenkilometer im Schwarzwald gesammelt. Da ich als Kind zumindest schon sporadisch auf Langlaufski gestanden habe, funktionierte das leidlich. Angestiftet, das wieder zu versuchen, hatte mich Ralf – mein Liebster, ein begeisterter Langläufer, fünffacher World-Loppet-Master und Global-Master. Als er im Frühjahr 2011 zum Saami-Ski-Race nach Finnland flog, habe ich ihn begleitet und mich für die kurze Variante von 60 km ab Näkkälä angemeldet. Das war mit meinen geringen Fähigkeiten in einer fast völlig zugeschneiten Klassikspur eine echte Herausforderung. Aber auch ein unglaubliches Erlebnis, in Wind und Wetter in der offenen Tundra. Ohne den starken Rückenwind hätte ich es wohl nicht bis ins Ziel in Kautokeino geschafft. Ab da war ich „angefixt“ und das Skilanglaufen ist mir inzwischen eine sehr liebgewonnene Ergänzung zum sommerlichen Laufen geworden. Mit allen Vieren zu strampeln, statt nur mit den Beinen, hat ja auch was für sich. Nun wohne ich zwar in Bonn, was nicht gerade ein guter Ausgangspunkt fürs Langlaufen ist. Aber ich fahre fast jedes Wochenende nach Karlsruhe und von dort sind die ersten Schwarzwaldloipen nur eine gute Stunde entfernt. Bis 2017 hatte ich dann etliche Langläufe gesammelt, unter anderem natürlich den Vasalauf, auch den Rucksacklauf im Schwarzwald. Immer unter „ferner liefen“ oder sogar als letzte, aber glücklich im Ziel. Ja, die langen Distanzen sind mein Ding, da hilft mir meine Ausdauer.

Und dann höre ich vom Nordenskiöldsloppet. Aber 220 Kilometer??? Bei der Vorstellung bleibt mir erst mal die Spucke weg. Ich kann ja nicht mal so lange wach bleiben, wie ich dafür rechnerisch brauchen würde. Das ist nichts für mich! „The world’s toughest and longest ski race!“ schreibt der Veranstalter auf der Homepage. Von Jokkmokk nach Kvikkjokk! Die Gegend kenne und liebe ich doch vom Wandern mit Zelt und Rucksack im Sommer. Auf dem Sakkat, dem See auf dem ich schon gepaddelt bin, soll der Lauf langgehen… Der Gedanke, ob ich es doch wagen sollte, lässt mich nicht mehr los; „Versuchen kann ich es doch, ich kann ja jederzeit aufhören, wenn es zu viel wird. Wenn ich zum Beispiel nur bis zum Wendepunkt in Årrenjarka komme, ist das doch auch toll…“ Nach und nach wird die fixe Idee zum Entschluss. Mein Liebster bestärkt und unterstützt mich.

Die Vorbereitung

Der Sakkat im Sommer © Anne Staeves

Im Winter 2016/2017 bereite ich mich so intensiv vor, wie mir das von Bonn und Karlsruhe aus möglich ist. Zum ersten Mal kann ich mich durchringen, auch dröge Trockenübungen zu machen. Ich ziehe regelmäßig an einem Expander, um meine weiblich-schwache Oberkörpermuskulatur zu kräftigen. Was nutzen mir meine guten Beine, wenn im Flachen viel Doppelstockschub gefragt ist!? Dazu aufraffen kann ich mich allerdings erst dann regelmäßig, als ich die Verankerung für den Expander neben dem Fernseher montiere. Sonst ist mir das echt zu langweilig. Auf Skiern spule ich wieder diverse Veranstaltungen ab. Dem Veranstalter des Nordenskiöldsloppet sende ich viele Mails, ich bombardiere ihn mit etlichen Fragen, die er freundlich und mit Engelsgeduld beantwortet. Und dann traue ich mich endlich und melde mich an. Eine Woche vor der Veranstaltung werde ich krank! Das darf doch nicht wahr sein! Ich spüre die Erkältung kommen, aber ich will es nicht wahr haben. Ich hoffe jeden Tag auf eine Wunderheilung, aber es wird stattdessen schlimmer. Der Traum ist erst mal geplatzt! Frustriert hole ich mir beim Arzt ein Attest, damit wird mir die Startgebühr für 2018 gutgeschrieben. Im Sommer bin ich tatsächlich wieder in Lappland wandern. Mit Zelt und Rucksack komme ich von Norden her durch das Vallevarre nach Kvikkjokk. Als ich den Prinskullen, einen kleinen Berg nördlich von Kvikkjokk erreiche, habe ich einen grandiosen Blick auf den Sakkat. Ich genieße die Aussicht und frage mich, ob ich da ein halbes Jahr später langschlurfen werde.