Skilanglauf-Reportage: Last Minute zur Deutschen Meisterschaft

Ausschnaufen im Ziel © Mario Felgenhauer

Ausgepumpt stehe ich im Ziel des zehn Kilometer Einzelrennens der Deutschen Meisterschaft im Skilanglauf. Elf Tage ist es jetzt her, dass ich an selber Stelle meine Anmeldung zu den Titelkämpfen in Auftrag gegeben habe. Schon erstaunlich was der Körper so alles mitmacht.

Schuld ist Tobi Angerer! Auch wenn man in diesem Fall nicht wirklich von Schuld sprechen kann. Schließlich habe ich mich aus eigener Entscheidung zur DM angemeldet. Die Idee hatte ich schon länger, aber als mich Tobi im Herbst bei der ZLK darauf angesprochen hatte, dass ich doch einmal selbst wieder den Vergleich mit den Top-Läufern suchen könnte, war alles klar. Ich muss wieder einmal in einem Mitteldistanzrennen antreten, bei dem es nicht nur ums Ankommen geht. Dass der Start dann aber so schnell erfolgen würde, hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht gedacht. Eigentlich hätte der Rucksacklauf im Schwarzwald mein Saisonhöhepunkt werden sollen. Zu wenig Zeit und Training machten im neuen Jahr aber schließlich klar, dass daraus nichts werden würde. Und plötzlich war sie da, die Idee. Warum nicht auf meiner Heimstrecke am Arbersee bei den deutschen Meisterschaften im Skilanglauf antreten. Der kleine Haken an der Sache: Die Idee kam mir genau elf Tage vor dem in Frage kommenden Einzelrennen im freien Stil in den Sinn. Kein Wunder also, dass ich das eine oder andere spöttische Lächeln und Lachen erntete, wenn mein Vorhaben zur Sprache kam. Die Ernsthaftigkeit meiner Startabsicht vertrieb diese jedoch schnell und spätestens, als mein FIS-Code von inaktiv wieder auf aktiv gestellt wurde, gab es keine Zweifel mehr.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade einmal 500 Kilometer auf Skirollern und 750 Kilometer auf Ski absolviert. Es hieß also zu improvisieren, um sich nicht vollständig zu blamieren. Ich bastelte mir einen Trainingsplan zurecht, der auch noch drei Tage auf der internationalen Sportartikelmesse (ISPO) in München überbrücken musste. Mit den ersten schnelleren Schritten der Saison hatte ich doch Mühe, aber irgendwie machte das „sich Quälen“ deutlich mehr Spaß, als all die langsamen Ausdauereinheiten in den Wochen zuvor. Nun sind die Strecken am Arbersee nicht gerade als leicht einzustufen, ich kenne dort allerdings fast jeden Grashalm, was doch einen kleinen Vorteil mit sich brachte. Und so wandelte sich das Gefühl beim Laufen des längsten Anstiegs schnell von „was ist das für eine Wand da vor mir“ zu „naja so lang ist er ja gar nicht und ich muss ja auch nur viermal drüber“. Acht Tage vor dem Wettkampftag wollte ich dann einen scharfen Test absolvieren. Doch leider machte mir das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Tiefes Geläuf und eine unpräparierte Strecke machten diesen unmöglich. Und so blieb mir nichts anderes übrig, als ihn um weitere vier Tage zu verschieben. Dazwischen lagen drei Tage auf der ISPO, was man nicht unbedingt als ideale Vorbereitung bezeichnen kann. Eine Nachteinheit nach meiner Rückkehr und schließlich zwei Runden im Renntempo auf der Originalstrecke machten mir dann aber wieder Mut, auch wenn ich mein Ziel für die DM, die 30 Minuten Marke zu knacken, verwerfen musste.


Während des Sprints und des Skiathlons war ich dann mit Fotoapparat bewaffnet auf den Strecken unterwegs. Das Abschlusstraining absolvierte ich direkt im Anschluss an die Rennen am Samstag. Wieder zuhause präparierte ich zwei Paar Ski, gönnte mir mit meiner Familie ein leckeres Essen und legte mich früh schlafen. Und plötzlich war es wieder da, das Kribbeln, das ich seit meinen letzten Deutschlandpokalrennen im Biathlon oder meinen bislang einzigen FIS-Rennen in Australien und bei der Universiade in Tarvisio nicht mehr gespürt hatte. Ich schlief schlecht in dieser Nacht und war früh wach. So lag ich meist vor meinem Zeitplan, den ich mir akribisch bis zu meinem Start festgelegt hatte. Frühstück, Packen, Anfahrt, Startnummer abholen, alles lief glatt. Nur beim Skitest hätte ich mir ein schnelleres Paar Ski gewünscht. Doch die Kälte der Nacht machte den Schnee stumpf. Dafür meinte es das Wetter gut mit mir. Sonne und schnell steigende Temperaturen versprachen einen Traum-Tag. 15 Minuten vor meinem Start begab ich mich in die Aufwärmzone und traf dort auch auf den direkt vor mir startenden Athleten aus Togo. Während dieser relativ unbehelligt an den Start gehen konnte, wurde ich doch als xc-ski.de Redakteur erkannt, erhielt aber vom einen oder anderen DSV-Athleten ernstgemeinte Anerkennung bezüglich meines Startvorhabens. Und weiter ging es im fast schon vergessenen Startrhythmus: Zehn Minuten vor dem Start Überhose aus, fünf Minuten vor dem Start Wärmejacke aus, dann die Ski angeschnallt, Stöcke angezogen und in die wartende Schlange am Startgate. 30 Sekunden vor mir ging der Mann aus Togo ins Rennen und dann lief der Countdown auch für mich. Die letzten fünf Sekunden wippte ich leicht mit und schob mich am Ende mutig ins Rennen.

Die ersten Meter liefen gut, ich fühlte mich befreit und jegliche Nervosität war verflogen. Zehn Kilometer lagen vor mir, die ich einfach so schnell wie möglich absolvieren wollte. Bereits am ersten kurzen Anstieg hatte ich den Startrückstand zu Vrossi Akpedje Madja aus Togo aufgelaufen. Doch der steht erst seit insgesamt acht Wochen auf Ski und darf heute nicht mein Maßstab sein. Aus den Augenwinkeln sah ich gerade noch, wie er in der ersten Kurve Kontakt mit dem Schnee aufnahm. Von nun an hieß es für mich möglichst lange zu versuchen, mich nicht von den nach mir gestarteten Läufern einholen zu lassen. Das gelang mir genau bis zum Ende des langen Anstiegs. Dann überholte mich Andi, der Lokalmatador im Herrenfeld. Immer wieder hörte ich vom Streckenrand Anfeuerungsrufe, manche davon auch mit meinem Namen versehen. Bei anderen bin ich mir bis jetzt noch nicht sicher, ob sie mir oder einem anderen Läufer galten, der sich gerade in meiner Nähe befand. Egal, motiviert haben sie mich trotzdem. Lediglich die kleinen Sternchen, die ich kurz vor dem höchsten Punkt der Strecke in Runde eins sehen konnte, gaben mir dann doch etwas zu denken. Aber nach der langen Abfahrt zurück in Richtung Stadion war wieder alles in Ordnung. Ich weiß nicht genau, wie meine Rundenzeiten ausgesehen haben, gefühlsmäßig müsste die dritte Runde am langsamsten gewesen sein. Doch das ist normal bei mir, wenn die Kräfte nachlassen und das Ziel noch ein Stück entfernt ist. Meine Lauftechnik verschlechterte sich auch zusehends. Aber ich konnte mich jede Runde aufs Neue motivieren und das machte richtig Spaß. Auch am letzten kleinen Anstieg vor der Zielgeraden gab ich noch einmal alles und überquerte schließlich nach ziemlich genau 33 Minuten die Ziellinie. Und jetzt stehe ich hier ausgepumpt im Zielraum und lasse die letzten Tage Revue passieren. Gerade kommt Tom Reichelt ins Ziel und darf sich über den deutschen Meistertitel freuen. Über neun Minuten hat er mir heute abgenommen, aber mich wenigstens nicht überrundet. Per Handschlag gratuliere ich ihm, was er mit einem Lächeln quittiert.

Ich selbst bekomme auf dem Rückweg zu den Wachskabinen den einen oder anderen Schulterklopfer. Ganz besonders freut mich das Kompliment von Markus Cramer. Da gratuliert der Chef des deutschen Langlaufnachwuchses dem ältesten Teilnehmer im Feld zu seiner Leistung, auch wenn es sich dabei nicht um den Gewinn von Gold, Silber oder Bronze handelte. Dabeisein ist schließlich alles! Ich glaube jetzt bin ich gedanklich endgültig im Breitensport angekommen. Lange hat es gedauert …