Vasalauf: Erfolgreiches Duell mit dem Besenwagen

Die Vorfreude auf den Vasaloppet steht Martina Standfuß kurz vor dem Start ins Gesicht geschrieben © Privat

Martina Standfuß ist beim Vasaloppet 2018 gleich zweimal angekommen. Das erste Mal riss die 56-jährige Rostockerin die Arme in die Höhe, als sie nach 12:12:47 Stunden in Mora das berühmte Zieltor passierte. „Es ist mir zuvor schon oft passiert, dass ich nach meinen Wettkämpfen vor Erschöpfung gar nicht jubeln konnte. Aber in Schweden ging es. Das waren ganz tolle Augenblicke“, sagt sie. Fast noch emotionaler verlief jedoch ihre zweite Zielankunft im Bus des Reiseveranstalters „Schulz Sportreisen“: Denn dort wurde sie von den anderen Sportlern mit tosendem Beifall begrüßt. „Die Männer klatschten, gratulierten mir und drückten mich. Ich bekam eine Wolldecke übergehängt und sollte sofort erzählen, wie es war. Dabei hatten sie selbst den Lauf ja auch geschafft“, erzählt Martina Standfuß. Der Applaus hatte aber durchaus seine Berechtigung, denn für die Frau von der Küste war der Start beim Wasalauf ein Abenteuer mit vielen Handicaps.

Obwohl Martina Standfuß bereits 15 Marathonläufe absolviert hat und beim Rennsteiglauf viermal den Supermarathon meisterte, wäre sie nie auf die Idee gekommen, dass sie die berühmten 90 Kilometer auf Skiern schaffen kann. Erst als sie 2015 während eines Skiurlaubs in Klingenthal in einer Saunarunde von anderen Langläufern angesprochen, ob sie für den Vasaloppet trainiert, ging ihr der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf. „Da begann etwas zu keimen. Ich hatte den Lauf dann eigentlich für 2017 geplant, aber da eine Freundin mitkommen wollte, die erst 2018 Zeit dafür hatte, wurde das Projekt ein Jahr verschoben“, sagt die Freizeitsportlerin, die in der Rostocker Stadtverwaltung arbeitet und Leiterin von zwei Aerobicgruppen ist. Die Vorbereitung verlief jedoch alles andere als nach Plan. Der Langlauf-Urlaub im Vogtland fiel wegen einer Bronchitis aus und sie kränkelte bis vier Tage vor der Abfahrt.

Martina Standfuß (rechts) mit ihrer Begleiterin Silke beim Streckencheck. © Privat

Dass Martina Standfuß im Hotel in der Nähe von Mora Läufer traf, die sich bei der Offenen Spur am Montag Erfrierungen im Gesicht, an den Füßen und den Fingern zugezogen hatten, trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. Bei zwei Trainingsläufen am Donnerstag und Freitag bei minus 19 und minus 15 Grad nutzte sie jedoch die Gelegenheit, sich an die Kälte zu gewöhnen und ihre Ausrüstung für den großen Tag auszuwählen. Ihr Ziel war das Ziel: „Ich hatte von Anfang an erklärt, dass es für mich das Allerschönste sein würde, den Lauf zu beenden. Mindestens wollte ich aber die erste Zeitschranke schaffen, ohne vom Besenwagen eingesammelt zu werden. Mit der harten Ausschlussregel bei nicht erreichten Zwischenzeiten spaßen die Schweden bekanntlich nicht.“ Je näher der Sonntag rückte, desto größer wurde die Aufregung, nicht nur bei Martina Standfuß. Am Samstag liefen die Mitreisenden aus ihrer Gruppe zu Hochform in Sachen Ratschläge und Tipps auf. „Vermutlich tat ich den Jungs leid wegen meiner schlechten Vorbereitung, wegen meines Fellskis oder generell, weil ich mich als Nordlicht und Oma an die Strecke wagte.“

Nach einer kurzen Nacht begann der Wettkampftag in Sälen für die Rostockerin jedoch mit einem kleinen Erfolgserlebnis. Da der Bus auf dem Parkplatz neben der Startwiese mit zu den ersten gehörte, sicherte sie sich im letzten Startblock einen Platz in der vierten Reihe. „Somit wusste ich, dass mindestens 1000 Starter hinter mir antreten würden“, erzählt sie. Das Rennen selbst begann wie erwartet sehr zäh, denn der Stau am ersten Berg zog sich wie Kaugummi. Doch die Rostockerin staunte: „Keiner der Läufer schimpfte oder zeigte Ärger. Das gehört einfach dazu.“ Als der Berg geschafft war, verlor Martina Standfuß jedoch den Durchblick. Ihre Brille war so beschlagen, dass sie aus der Spur treten musste, um Abhilfe zu schaffen. Doch das war leichter gesagt als getan, da sie sich für zwei paar Handschuhe übereinander entschieden hatte. Das Problem war weniger das Ausziehen als vielmehr das wieder Überstülpen. So wanderte der rechte Fäustling in die Jackentasche.

Jetzt begann das Duell mit dem Besenwagen erst richtig. „Ich gab ständig alles. Nichts von wegen Kräfte einteilen und ökonomisch laufen“, sagt die Rostockerin. Auch als sie die erste Verpflegungsstation und Kontrollstelle in Smagan erreicht hatte und noch fünf Minuten Luft bis zum Zeitlimit hatte, nahm sie sich nicht zurück. „Ich lief weiter wie um mein Leben und gab alles.“ Dass sie als Flachländerin ausgerechnet in den folgenden Abfahrten etliche Plätze gegenüber den in diesem Teil des Feldes oft sehr wacklig auf den Skiern stehenden Schweden gut machen konnte, gehörte zu den positiven Überraschungen des Tages. Dagegen haderte Martina Standfuß mit ihrem zu stumpf geratenen Ski und ihren offensichtlich zu kurzen Stöcken und kämpfte früh mit schmerzenden Schultern. Umso größer war die Freude, als sie in Mangsbodarna die nächste Zeitnahme passierte: „Ich war 25 Minuten vor der Herausnahme aus dem Rennen und begriff, dass ich es schaffen könnte, den ganzen Wasalauf zu finishen.“

Diese Aussicht machte die Hatz in der von Tausenden Läufern ausgetretenen Spur, die kaum noch diesen Namen verdiente, gleich einen Tick leichter. Allerdings nicht sehr lang. Als am Kontrollposten in Risberg das Band schon sichtbar an der Strecke lag, mit dem die Loipe für die zu langsamen Läufer abgesperrt wird, kamen die Zweifel zurück. Und nachdem Martina Standfuß auch bei Halbzeit der Strecke in Evertsberg noch im Zeitkorridor geblieben war, schien in Oxberg doch das vorzeitige Aus gekommen zu sein. „Ich sah etliche traurige Männer und Frauen, die ihre Ski bereits in den Händen hielten. Die bedrohlichen Busse, mit denen die ausgeschiedenen Läufer ins Ziel gefahren werden, sah ich auch.“ Erst als eine Ordnerin in Richtung Strecke zeigte und etwas von „Nineteen Kilometer to go“ von sich gab, wurde der Läuferin mit der Startnummer 17215 klar, dass das Zeitlimit noch nicht rum war und es sich bei den wartenden Läufern wohl um die handelte, die freiwillig ausstiegen.

Martina Standfuß (rechts) und ihre Begleiterin schnupperten beim Staffel-Vasa schon mal das berühmte Flair im Ziel von Mora. © Privat

Doch auch die letzten beiden Etappen hatte es für Martina Standfuß noch einmal in sich. Erst hatte sie etwas Pech, dass sie nicht zu den Glücklichen gehörte, die mit Umhängeleuchten für die einbrechende Dunkelheit versorgt wurden. Doch auch dieser gespenstische Streckenabschnitt ging vorüber. Und als die zähe Rostockerin mit Eldris die letzte Kontrollstelle rechtzeitig erreicht hatte, musste sie „nur“ noch die letzten neun Kilometer auf der jetzt ausgeleuchteten Loipe zu Ende bringen. „Das hätte das reinste Vergnügen sein können, wenn nicht die Kälte gewesen wäre“, erklärt sie. Das Problem war die rechte Hand, die seit der Brillen-Aktion zu Beginn nur mit einem dünnen Fingerhandschuh geschützt war. Martina Standfuß konnte die klammen Finger kaum noch bewegen und bat daher einen Zuschauer an der Strecke, ihr den dicken Fäustling aus der Jackentasche überzustülpen. Der half auch gerne, verwechselte aber den Zeigefinger mit dem Daumen. Mangels Schwedisch-Kenntnissen beließ es die Läuferin dabei, fror zumindest nicht mehr ganz so sehr, konnte aber ihren Skistock nicht mehr richtig führen. Dass sie dadurch noch mehrfach stürzte, war dann aber schon zu Beginn der Zielgeraden vergessen, wo selbst zu später Stunde noch unzählige Zuschauer die Läufer anfeuerten. Und es war kurz darauf eine von vielen Episoden während der Busfahrt ins Hotel.

Martina Standfuß hat längst neue Ziele: Sie will 2019 den 100-Kilometer-Ostseeweg wandern und den Bosporus durchschwimmen. Eins steht für sie aber auch fest: „Den Wasalauf werde ich auf alle Fälle noch einmal laufen.“ Selbst bei besserer Vorbereitung und mit besserem Material will sie dann aber ihrem Motto treu bleiben. „Ich bin bis jetzt gut damit gefahren, immer nur ankommen zu wollen. Wenn es dann etwas besser war, super! Aufgegeben habe ich noch nie.“

Monty Gräßler (Jahrgang 1972) ist Lokalsportredakteur bei der „Freien Presse“ im Vogtland und begeisterter Hobby-Skilangläufer. Mit „Wahnsinn Wasalauf“ hat er das erste deutschsprachige Buch über den legendären Vasaloppet in Schweden geschrieben. Es sind aber längst noch nicht alle „Wasalauf-Geschichten“ erzählt und kommen stets neue hinzu. Eine Auswahl davon gibt es regelmäßig in dieser Kolumne.  Mehr zum Buch und eine Bestellmöglichkeit findet ihr hier: www.wahnsinn-wasalauf.de