Saison-Startschuss in Livigno

Startnummernabholung © Sigrun Hannes

Am Wochenende des 15. Dezembers 2013 hieß Livigno seine Langlaufgäste zur 24. Auflage der „La Sgambeda“ willkommen. 2.194 Teilnehmer gingen bei den verschiedenen Wettbewerben an den Start und erlebten strahlenden Sonnenschein, spannende Wettkämpfe und einen gelungenen Start in die FIS-Marathon-Saison.

Während bei Langläufern im Herbst meist Rennrad, Skiroller und Laufschuhe im Trainingsfokus stehen und die dünnen Langlaufbretter noch unangetastet im seligen Tiefschlaf schlummern, kommt doch bereits zu diesem Zeitpunkt eine wichtige Frage auf: Sollte man sich wohl einmal für die berühmte „Sgambeda“ anmelden? „Viel zu früh, Mitte Dezember bin ich noch längst nicht in Form“, denkt sich der eine. „In Livigno? Da soll es doch so eisig kalt sein“, erinnert sich ein anderer. Und doch scheint es eine Menge guter Argumente zu geben, sich für den Start beim ersten Lauf der FIS-Marathon-Serie zu entscheiden. Denn die Zahl von 1.134 Teilnehmern allein beim Hauptlauf in freier Technik spricht für sich. Und so beschloss auch ich, die Reise nach Livigno anzutreten, um im Feld der Marathonläufer mitzumischen und mir selbst ein Bild von der berühmten „Sgambeda“ zu machen.

Das „kleine Tibet“ Italiens

Nun liegt Livigno für die meisten von uns nicht direkt vor der Haustür und so dehnte ich – wie viele andere auch – das Wettkampfwochenende ein wenig aus und reiste schon drei Tage früher an. Von München aus ging es über Österreich und die Schweiz bis über die Grenze nach Italien, genauergesagt in die Region Veltlin. Zuletzt führte die Straße durch einen langen einspurigen Tunnel, bis schließlich die Sicht frei wurde auf den Livigno-See und ein breites sonnendurchflutetes Tal. Fast unbemerkt hat man an dieser Stelle schon 1.816 Meter Höhe erreicht, was auch die Schneesicherheit Livignos erklärt. Nun ging es hinein in den beliebten Touristenort inmitten der Alpen.

Höhentraining vor Traumkulisse

Noch am Abend drehte ich die erste Testrunde auf Livignos Loipen und stellte schnell fest: Ich war nicht die Einzige, die früher angereist war. Zahlreiche Trainingsgruppen, Technikkurse und Hobbyläufer waren bereits voller Elan unterwegs. Hier und da kreuzte auch der ein oder andere Topläufer dir Spur, dem man ansah, dass er sich mit zweistelliger Platzierung bei „Sgambeda“ wohl kaum zufrieden geben würde. Mit Blick auf die bis zu 3000 Meter hohen Berge, die Livigno umgeben, genoss ich die ersten Trainingskilometer der diesjährigen Saison. Weniger genussvoll waren die kleinen Anstiege, die den Puls ganz schön in die Höhe trieben. Kein Wunder bei der Höhenlage!

Klassiklauf und Mini-Sgambeda

Langeweile kam in den Trainingstagen vor dem Marathon keineswegs auf. Bereits am Freitag stand die klassische „Sgambeda“ auf dem Programm, sozusagen das Warm-Up für den Hauptlauf am Sonntag. Ich verzichtete auf den Start und sammelte stattdessen lieber noch einige wertvolle Trainingskilometer. Richtig entspannt beobachtete ich das Spektakel am Start aus sicherer Entfernung und verfolgte das Rennen der rund 800 klassischen Läufer. Drei Norweger standen schließlich auf dem Podest der Männer, aus denen Kristian John Dahl als Sieger hervorging. Bei den Frauen entschied die Russin Yulia Tikhonova die 21-Kilometer-Distanz für sich. Tags darauf wurde es für den ambitionierten Nachwuchs ernst! Je nach Alter hatten die Kleinen ein bis fünf Kilometer zu bewältigen und legten sich mächtig ins Zeug. Und wenn die Technik bei manchen auch noch nicht ganz so ausgereift war, im Wettkampffieber standen sie den Großen jedenfalls um nichts nach!

In den Startreihen des Sgambeda-Marathons

Und dann war es auch schon so weit. Die Nacht auf den Sonntag war vorüber und der langersehnte Morgen des großen Sgambeda-Marathons brach an. Am Himmel zeigten sich hier und da ein paar Wolken und mit minus neun Grad waren die Bedingungen im Grunde typisch für Livigno. Nach dem Frühstück ging ich hinaus an die Strecke zum Skitesten. Rein zum Zeitvertreib und zur Nervenberuhigung. Um zehn Uhr fuhr ich auf der Originalstrecke in Richtung Startgelände. Aus den mageren Schneebedingungen hatten die Veranstalter das Maximum herausgeholt. Nicht zuletzt dank einer neuen Kunstschneeanlage war die Loipe in relativ gutem Zustand. Dass hier und da ein Steinchen oder Erdhügel durchschimmerte, galt es zu akzeptieren. Vielleicht bringt der Weihnachtsmann ja ohnehin neue Skier!?
Nach unzähligen Blicken auf die Kirchturmuhr war es dann endlich so weit: Zeit sich an den Start zu begeben. Ich sah mich im Feld der 1134 Läufer um: Zwischen den Klängen der italienischen Startmusik lag jede Menge Nervosität in der Luft. Eine Anspannung schier zum Zerplatzen, die sich gemeinsam mit dem Startschuss in Luft auflösen würde! Da war es auch schon soweit. Punkt elf Uhr wurde der Start für den 24. Sgambeda-Marathon freigegeben. Auf das Treiben im ersten Startblock hatte ich keine Sicht, ich konzentrierte mich ganz auf mich selbst und meine Vordermänner, um einen Sturz oder Stockbruch unbedingt zu vermeiden. Hinauf ging es den Starthang, und zunächst ein Stück in Richtung Taleingang, bevor der Startbereich noch einmal passiert wurde. Ab hier entzerrte sich das Läuferfeld und ich hatte freie Fahrt. „Nur nicht überziehen, du musst die Runde zweimal laufen!“, rief mir eine Stimme im Kopf mehrere Male in Erinnerung. „Aber zu viel Zeit darfst Du auch nicht liegen lassen!“, rief die andere dagegen. Und genau hierin bestand die große Herausforderung: Ordentlich Tempo zu machen, dabei aber keinesfalls zu überziehen.

Triumph durch Northug und Roponen

Als ich die Runde einmal absolviert hatte, lichtete sich das Feld der Läufer. Diejenigen die sich für die Kurzdistanz über 22,5 Kilometer entschieden hatten, setzten zum Endspurt an und beendeten ihren Lauf. Für mich galt es in Runde zwei angesichts immer müder werdender Beine die Zähne zusammenzubeißen. Noch einmal hieß es das Tal in Richtung Forcola-Pass zu durchlaufen. Dankbar nahm ich inzwischen jeden Verpflegungsstand wahr. Aus den Zuschauerreihen fing ich neben energischen Anfeuerungsrufen auch Renninfos auf: „Northug auf Goldkurs…!“ Schön für ihn, ich hatte noch einige Kilometer vor mir. Ich verdrängte den Gedanken daran, in welcher Liga die Profis ganz vorne kämpfen und konzentrierte mich darauf, an den letzten Anstiegen nicht mehr zu viel Zeit zu verlieren. Endlich ging es hinein in den Zielbereich. Die Zurufe der Zuschauer linderten die Schmerzen in den brennenden Beinen. Die letzten Stockschübe und dann überquerte ich nach 2:11.26 Stunden die Ziellinie, mit jenem erleichterten Gefühl, das sich für Außenstehende so schwer beschreiben lässt. Der Norweger Petter Northug hatte den Marathon tatsächlich in einem gewaltigen Zielsprint in 1:33.33 gewonnen. Petr Novak (Tschechien) folgte ihm gewohnt stark auf Rang zwei und der Weißrusse Aliaksei Ivanou vom xc-ski.de Skimarathon Team erkämpfte sich den dritten Platz. Bei den Frauen triumphierte die Finnin Liisa-Riita Roponen in einer Zeit von 1:42.00 und verwies Seraina Boner (Schweiz) knapp auf den zweiten Platz.

Wiedersehen im nächsten Jahr

Damit ging die Goldmedaille sowohl bei den Damen als auch bei den Herren erneut an die Vorjahressieger. Egal welche Zeit, egal ob Profi, Amateur- oder Breitensportler, wir alle hatten einen tollen Lauf und können Livigno nur gratulieren, Veranstalter dieses unvergesslichen Events zu sein. Die Frage, die eigentlich erst im nächsten Jahr aktuell wird – „Sgambeda-Start“ ja oder nein -habe ich im Stillen übrigens schon für mich beantwortet: Arrivederci Livigno, 2014!

Autorin: Sigrun Hannes