Langlauf Weltcup Tallinn: City-Sprint zum Jubiläum der Unabhängigkeit

Festivalgelände in Tallinn (EST) © www.owc.ee

Am Dienstag treffen sich die Sprintspezialisten in der estnischen Hauptstadt Tallinn zum Freistilsprint, der auf dem Festivalgelände der Stadt ausgetragen wird. Los geht es erst nach Sonnenuntergang um 18:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit. 

Estland seit 1918 unabhängig – und erneut seit 1991

Festivalgelände in Tallinn (EST) © www.owc.ee

Zwar jährte sich die erste Unabhängigkeit Estlands schon am 24. Februar zum 105. Mal, dennoch möchte Tallinn mit dem Sprint Weltcup in der Hauptstadt dieses Jubiläum feiern, auch wenn man durch die Gründung der Sowjetrepublik 1940 die Unabhängigkeit verlor. 50 Jahre später fanden im Rahmen der Perestroika im März 1990 wieder erste Parlamentswahlen in Estland statt und das Land erklärte sich zur Repubik. Seit 20. August 1991 ist Estland wieder unabhängig wie auch die baltischen Nachbarn Lettland und Litauen, die ebenfalls zu dieser Zeit vom Westen als unabhängige Staaten anerkannt wurden. Estland hat heute etwa 1,4 Millionen Einwohner, darunter laut statistischer Erhebung 2021 etwa 65 Prozent Esten und 23 Prozent Russen. In der Stadt Tallinn selbst, wo etwa 445.000 Menschen leben, ist das Verhältnis von Esten zu Russen mit 53 zu 44 Prozent Muttersprachlern noch ausgeglichener. Tallinn ist das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Estlands und liegt am Finnischen Meerbusen der Ostsee, etwa 80 Kilometer südlich von Helsinki. Bis zur Unabhängigkeit 1918 hieß Tallinn amtlich Reval, im estnischen gibt es den Namen Tallinn aber schon seit der Eroberung durch den dänischen König Waldemar im Jahr 1219. Er wird üblicherweise abgeleitet von Taani-linn(a), was „Dänische Stadt“ oder „Dänische Burg“ heißt. Die Altstadt wurde 1997 zur Liste des UNESCO-Weltkulturerbe hinzugefügt als „außergewöhnlich vollständiges und gut erhaltenes Beispiel einer mittelalterlichen nordeuropäischen Handelsstadt“. Zudem ist die Stadtmauer eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Im Mittelalter war Tallinn eine der am besten befestigten Städte an der Ostsee.

Zwei Runden auf dem Festivalgelände

Streckenverlauf und Profil des Langlauf Weltcup Sprints in Tallinn (EST) © www.owc.ee

Auch wenn man bei einem City-Sprint in Tallinn, einer Stadt, die auf Meereshöhe gelesen ist, einen flachen Sprintkurs erwarten würde, ist es doch nicht ganz so. Auch Tallinn hat ein paar Hügel, wenn auch mit etwa 50 Meter Höhe deutlich kleiner als Estlands größter „Berg“, der Suur Munamägi mit 318 Metern im Süden des Landes. Der Sprint wird af dem Festivalgelände der Hauptstadt ausgetragen, einer Konzertmuschel mit ansteigendem Zuschauergelände. Auf der Bühne finden fast 15 000 Sänger Platz und das Gelände kann 100 000 Zuschauer aufnehmen. Der Komplex ist architektonisch sehr wertvoll und es ist das erste moderne Gebäude der Nachkriegszeit in Tallinn, das in 1960 fertiggestellt wurde. Zu laufen sind für Langläuferinnen und Langläufer zwei Runden bei einer Gesamtlänge von 1350 Meter laut Streckenskizze, der Veranstalter gibt 1,5 Kilometer an. Gleich nach dem Start geht es bergauf zu einem Anstieg mit 24 Höhenmeter, die sich auf die ersten 250 Meter des Sprints verteilen. Nach der zweiten Runde geht es auf die leicht ansteigende und nur 50 Meter lange Zielgerade direkt vor der Konzertmuschel. Um die Sicherheit zu gewährleisten, dachte man über Fangsetze nach, entschied sich aber doch dagegen, obwohl die Veranstalter in der Abfahrt Geschwindigkeiten von 50km/h erwarten. Zu sehen ist die Strecke im hier verlinkten Video: 

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Posted by Estonian Cross-Country Skiing on Friday, March 17, 2023

Einheitliche Wachsbedingungen

In Tallinn kommt etwas Spezielles auf die Teams zu, die ohne ihre Wachstrucks anreisen. Auch die Anzahl der Wachser vor Ort ist reduziert. Das soll die kleinen und finanzschwächeren Teams näher an die großen Mannschaften heranbringen. Für das Wachs ist Swix verantwortlich. Dazu schreibt die FIS: „Es ist das erste Mal, dass wir auf Weltcup Level so mit dem Wachsen umgehen, aber Swix hat eine lange Erfahrung aus anderen Rennen. Das Ziel ist es, das Wachsen effizienter und umweltfreundlicher zu machen und diesen City-Sprint in freier Technik kostengünstiger für Athleten, Teams und Veranstalter zu machen. Alle Wachse werden fluorfrei sein. Wir erwarten, dass sämtliche Wachser gut zusammenarbeiten und den Anweisungen und Vorgehensweisen, die Swix, der Veranstalter und die Jury für einheitliches Wachsen vorgeben, auch eingehalten werden. Jedes Team hat eine bestimmte Anzahl von Wachser, die vor Ort sein dürfen, abhängig von der Zahl der Athleten.“ Die Serviceleute können sich am Montag ihren Wachsplatz einrichten und das Transportwachs entfernen. Jeder Athlet darf nur zwei Paar Ski dabei haben, die er zwischen Prolog und Finalläufen wechseln kann. Die Ski müssen zu einer bestimmten Deadline abgeliefert werden und werden rechtzeitig präpariert.

Estnische Nominierungen sorgen für Ärger

Estland wird mit einem jungen Team an den Start gehen, das teilweise auch schon bei der WM in Planica am Start war. In Slowenien feierte das Team den estnischen Nationalfeiertag, das 105. Jubiläum der ersten Unabhängigkeit im Jahre 1918. Kristjan Koll, Präsident des estnischen Skiverbandes, sagte: „Da ist ein neuer Wille in dem Team, die jungen Athleten haben eine Perspektive, jeder ist bereit, hart für seinen Erfolg zu arbeiten. Es ist schwer für mich, das alles nur von der Seite mitzuverfolgen“, sagte er. „Das Rennen in Tallinn wird historisch sein, das gab es noch nie in unserer Skigeschichte. Estnische Athleten können sich mit den Besten der Welt messen vor Heimpublikum und an einem Ort, der für uns voller Traditionen steckt. Viele von ihnen werden dort ihr Weltcup Debüt feiern. Lang lebe der Sport! Lang lebe die Bewegung! Lang lebe das unabhängige Estland!“ Ungefähr die Hälfte der zwölf Damen und zwölf Herren ist bereits im Weltcup erfahren, der Rest des Teams ist jung und unerfahren. Mit diesem jungen Team ist nicht jeder zufrieden. Auch ältere Athleten wie der ehemalige Biathlet Kalev Ermits und sein Biathlon-Kollege Raido Ränkel hätten gerne die Chance gehabt, einen Weltcup vor Heimpublikum zu bestreiten. Ermits konzentriert sich seit einem Jahr auf Langlauf, Ränkel ist nach wie vor im Biathlon Weltcup unterwegs. Beide kritisierten später in den Medien die Entscheidung. Anschließend ruderte Ermits auf Instagram etwas zurück: „Tallinns Sprint Weltcup wird zu einer Kampagne zur Nachwuchsförderung, was natürlich sehr nobel und verständlich ist. Aber wenn nur irgendwer mich mal darauf vorbereitet hätte, dass für mich kein Platz im Team ist, hätte ich auch kein Problem damit. Aber dass gesagt wurde, dass ich nicht dabei bin, einfach weil ich ein ehemaliger Biathlet bin, sorgt für einen Beigeschmack. Unter Langläufern ist ein Biathlet etwas Schlimmeres als ein Dopingsünder“, so Ermits. Er hatte sich schon im Sommer diesen Weltcup als Ziel gesetzt, den Verband darüber informiert und im Anschluss seine FIS-Lizenz erneuert und an Rollski-Rennen teilegenommen, um FIS-Punkte und Rennerfahrung zu sammeln, schrieb er in seiner Story. Im Winter bestritt er neben seinen Skimarathon-Rennen auch die estnische Meisterschaft mit guten Ergebnissen, um sich vorzubereiten. Auch Raido Ränkel ist wütend und enttäuscht und schreibt: „Der amtierende estnische Meister (22.12.22) über zehn Kilometer klassisch darf nicht starten beim Heimweltcup? Danke, lieber Skiverband. Einfach, weil man Biathlet ist?“

Favoriten Klæbo und Skistad – oder Sundling?

Angeführt von den Siegern von Drammen und Falun, Kristine Stavås Skistad und Johannes Høsflot Klæbo, reist das norwegische Team mit sieben Damen und acht Herren zum City-Sprint nach Tallinn. Im Vergleich zu Falun ersetzt Gjøran Tefre Pål Golberg, der sich auf Lahti konzentriert, und Maria Hartz Melling kommt für Anne Kjersti Kalvå ins Aufgebot. Im schwedischen Team fehlen auch weiterhin Emma Ribom und Linn Svahn, während sich Calle Halfvarsson entschied, den Sprint in Estland auszulassen. Dennoch ist das Team mit Jonna Sundling und Maja Dahlqvist als Siegkandidatinnen stark aufgestellt. Für Dahlqvist geht es um die Sprintkugel, zwei Sprints vor Schluss liegt die Schwedin fünf Punkte hinter Nadine Fähndrich. Auch Johanna Hagström will Revanche für den missglückten Sprint in Falun. Außerdem sind Moa Ilar und Moa Lundgren nominiert wie auch Märta Rosenberg. Von den sechs Herren hat Edvin Anger die besten Chancen auf ein Podium, ihn begleiten Gustaf Berglund, Emil Danielsson, Marcus Grate, Olle Jonsson und Oskar Svensson. Das finnische Team wird von Kerttu Niskanen angeführt, auf ein Top15-Resultat hoffen auch Jasmi Joensuu, Jasmin Kähärä und Niilo Moilanen. Für Österreich treten Michael Föttinger, Benjamin Moser, Lukas Mrkonjic, Mika Vermeulen an. Das Schweizer Team besteht aus drei Damen und vier Herren, nämlich Nadine Fähndrich, Lea Fischer und Alina Meier sowie Roman Schaad, Valerio Grond, Janik Riebli und Erwan Käser.

Temperaturen um Null – live auf Euro1

Kunstschneeproduktion auf dem Festivalgelände in Tallinn (EST) © www.owc.ee

Schon frühzeitig wurde mit der Produktion von Kunstschnee begonnen, die Streckenpräparation begann am 14. März, so dass die Bedingungen optimal sein dürften, da das Wetter an der estnischen Küste noch nicht zu frühlingshaft ist. Nach Sonnenschein und leichten Plusgraden am Tag herrschen zum Beginn der Viertelfinals um 19:30 Uhr Ortszeit (18:30 Uhr MEZ) Temperaturen um den Gefrierpunkt, Tendenz fallend. Um die schwierigen Wachsbedingungen müssen sich die Teams diesmal aber keine Gedanken machen, denn das Wachs ist für alle gleich. Live übertragen wird das Rennen bei Eurosport1, SRF2 und ORF Sport+ oder bei Discovery+ inklusive Prolog.

Programm Tallinn

Dienstag, 21. März 2023

16:00 Uhr: Sprint FT Qualifikation

18:30 Uhr: Sprint FT Finalläufe