Trainingsphilosophien im Skilanglauf: Schwellenmodell vs. Polarisierendes Trainingsmodell

Herbsttraining in Ramsau am Dachstein: Sofie Krehl © Michael Rackl/xc-ski.de

Von Sebastian Eisenhut

Skilanglauf zählt zu einer der anspruchsvollsten Ausdauersportarten. Der Erfolg in dieser Sportart – geprägt durch hohe Anforderungen an Ausdauer, Kraft, Technik und Koordination – setzt ein systematisch und langfristig geplantes Training voraus. In der Trainingswissenschaft haben sich insbesondere zwei Ansätze etabliert: das Schwellenmodell und das polarisierende Trainingsmodell. Ihre Ursprünge, Anwendung und Wirkweise sind unterschiedlich – und beide haben ihre Wurzeln in der Geschichte des nordischen Skisports.

Historische Entwicklung des Ausdauertrainings im Skilanglauf

Bereits in den 1950er- und 60er Jahren begannen Trainer in Skandinavien, systematische Trainingsansätze für den Skilanglauf zu entwickeln. In Norwegen und Schweden entstand der Gedanke des „Basis-Ausdauertrainings“ mit einem hohen Umfang an niedrigintensivem Training – inspiriert durch das Leben in der Natur, lange Ski- oder Rollskitouren und einem eher spielerischen Zugang zum Sport. Dieser spielerische Ansatz ist bis heute verbreitet und erfolgreich. In den 1970er- und 1980er-Jahren, insbesondere in der DDR und in der Sowjetunion, wurde das Training verstärkt auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend gestaltet. Hier entwickelte sich das Schwellenmodell, das schon damals auf Leistungsdiagnostiken basierte und systematisch das Training nahe der individuellen anaeroben Schwelle einsetzte. Ziel war es, den Organismus effizient auf hohe, langanhaltende Belastungen im Renntempo vorzubereiten. Mit dem Aufkommen neuer wissenschaftlicher Methoden zur Belastungssteuerung in den 1990er- und 2000er- Jahren – besonders durch Forschungen von Stephen Seiler (Trainingswissenschaftler) bekam das polarisierende Modell internationalen Aufwind. Basierend auf Analysen norwegischer und internationaler Elitesportler zeigte sich, dass erfolgreiche Athleten etwa 80-90% ihres Trainings in sehr niedrigen Intensitätsbereichen absolvieren, aber gleichzeitig gezielt hochintensive Reize einbauen – dabei wird der mittlere Intensitätsbereich weitgehend vermieden.

Das Schwellenmodell – gezielte Reize rund um die Leistungsgrenze

Das Schwellenmodell – oft auch „Threshold Training“ genannt – basiert auf der Idee, möglichst viel Trainingszeit in einem physiologisch kritischen Bereich zu verbringen: knapp unterhalb oder direkt an der anaeroben Schwelle. Dieser Bereich, ist bekannt als Entwicklungsbereich (EB) und wird heutzutage auch oft als „Sweet Spot“ bezeichnet. Er liegt meist bei etwa 80-90% der maximalen Herzfrequenz. Hier produziert der Körper gerade so viel Laktat, wie er auch wieder abbauen kann. Ziel ist es, den Organismus genau an diese Belastung zu gewöhnen, um die Schwellenleistung zu steigern und möglichst ökonomisch bei hohem Renntempo arbeiten zu können. Typischerweise wird dieser Trainingsbereich durch Tempodauerläufe oder längere Intervalle abgedeckt. Schwellen-Einheiten dauern in der Regel 20 bis 40 Minuten; meist absolviert man diese zwei bis fünfmal pro Woche – abhängig von Trainingsphase und Ziel.

Typische Merkmale

  • Training nahe der Laktatschwelle (ca. 4 mmol/l)
  • Intensitätsfokus: 80-90% der maximalen Herzfrequenz
  • Schwerpunkt auf Ökonomisierung bei hohem Tempo (Renntempo)

Vorteile

  • Hoher Übertrag von Training auf das Wettkampftempo
  • Effizient für Athleten mit begrenzter Trainingszeit
  • Gut planbar und steuerbar über Laktat- und Pulskontrolle

Nachteile

  • Hohe monotone Belastung kann zu Ermüdung führen
  • Gefahr, zu viel Zeit, im „Graubereich“ zu verbringen, was die Regeneration erschwert. (Graubereich = mittlere Intensitätszonen)
  • Bei gut trainierten Ausdauersportlern oft nur begrenzter Zusatznutzen, wenn keine Reize außerhalb des Schwellenbereichs gesetzt werden
  • Wird im Nachwuchstraining häufig als Methode zur schnellen Leistungssteigerung eingesetzt, was jedoch kritisch betrachtet werden sollte.

Das Polarisierende Trainingsmodell – klare Kontraste statt Graubereich

Das polarisierende Trainingsmodell wurde besonders durch norwegische Langlauftrainer und dem Trainingswissenschaftler Stephen Seiler bekannt. Die zentrale Idee: Statt viel Zeit in der moderaten „Grauzone“ rund um die Schwelle zu verbringen, werden die Trainingsreize gezielt polarisiert – also klar getrennt: in sehr niedrige und sehr hohe Intensitäten. Etwa 80-90% der Trainingszeit entfallen dabei auf lockere Einheiten im Grundlagenausdauerbereich (<70% der maximalen Herzfrequenz). Diese langen, ruhigen Einheiten fördern vor allem die aerobe Basis, verbessern den Fettstoffwechsel und sorgen für eine gute Regeneration. Die restlichen 10-20% der Trainingszeit werden für hochintensive Intervalle genutzt – mit Belastungen deutlich über der anaeroben Schwelle (<90% der maximalen Herzfrequenz). Typisch sind dabei kurze, knackige Intervalle wie 4×4 Minuten, 30/15-Sekunden Intervalle oder Bergsprints, die gezielt die maximale Sauerstoffaufnahme steigern. Der mittlere Intensitätsbereich wird bewusst gemieden, um den Körper entweder komplett zu erholen oder maximal zu fordern – ohne Dauerstress im Übergangsbereich.

Typische Merkmale

  • Klare Verteilung: ca. 80-90% niedrigintensives Training, 10-20% hochintensiv
  • Fokus auf maximale aerobe Anpassung & Reizkontraste
  • Kaum Zeit im moderaten Schwellenbereich

Vorteile

  • Hohe Effizienz bei gut trainierten Ausdauersportlern
  • Steigerung von VO2max, Rennausdauer und Tempohärte
  • Steigerung VO2max ist gerade im Juniorenalter von sehr großer Bedeutung
  • Geringe monotone Ermüdung, da viel Zeit im regenerativen Bereich trainiert wird
  • Unterstützt lange Trainingseinheiten ohne Überlastung

Nachteile

  • Erfordert großen zeitlichen Umfang – viele ruhige Stunden
  • Disziplin nötig: Der „Graubereich“ wird schnell versehentlich in Ausdauereinheiten betreten

Vergleichs-Fazit: Schwellenmodell vs. Polarisierendes Modell

Beide Trainingsphilosophien haben im Skilanglauf ihre Berechtigung – sie setzen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte und bringen verschiedene Vor- und Nachteile mit sich. Das Schwellenmodell ist besonders dann sinnvoll, wenn gezielt die Leistung an der anaeroben Schwelle gesteigert werden soll. Es eignet sich für Athleten mit begrenzter Trainingszeit oder in Phasen, in denen die Verbesserung der Renntempoökonomie im Vordergrund steht. Allerdings birgt es die Gefahr, durch monotone Belastungen, Überlastung oder mentale Ermüdung zu erzeugen – und ist bei gut trainierten langfristig oft weniger wirksam, wenn es isoliert eingesetzt wird. Ab einem bestimmten Niveau ist keine weitere Leistungssteigerung mehr möglich, wenn an der anaeroben Schwelle die höchstmögliche prozentuale Auslastung der maximalen Sauerstoffaufnahme erreicht wird. Das polarisierende Modell folgt einer anderen Logik: Viel Zeit im regenerativen, aeroben Bereich kombiniert mit klar abgegrenzten, hochintensiven Spitzenreizen. Studien und die Trainingspraxis vieler norwegischer Spitzenlangläufer zeigen, dass dieser Ansatz besonders bei gut trainierten Athleten zu messbar besseren Anpassungen bei VO2max, Tempohärte und Rennausdauer führt. Voraussetzung ist jedoch ein hoher Trainingsumfang und die Disziplin, den mittleren Schwellenbereich bewusst zu vermeiden.

Fazit

Für ambitionierte Skilangläufer hat sich das polarisierende Trainingsmodell als Goldstandard etabliert – gerade über längere Trainingsphasen hinweg. Das Schwellenmodell bleibt aber ein wertvolles Werkzeug, um gezielt an der Wettkampfhärte zu arbeiten und den Übergang zum Renntempo zu optimieren. Am wirkungsvollsten ist in der Praxis meist eine sinnvolle Kombination beider Ansätze, angepasst an Leistungsniveau, Trainingsalter, Saisonphase und individuelle Möglichkeiten.

Quellen:
Seiler, S. (2012): Training intensity distribution
Stöggl, T. & Sperlich, B. (2014): Polarized training has greater impact on key endurance variablies than threshold, high intensity, or high volume training
DSV: Rahmentrainingskonzeption Skilanglauf
Norges Skiforbund: Utviklingstrappa Langrenn

Sebastian Eisenhut ist Diplomtrainer des DOSB, ehemaliger Leistungssportler und war Cheftrainer der deutschen Junioren- und U23-Nationalmannschaften im Skilanglauf beim Deutschen Skiverband. In seinem Unternehmen Sportmeisterei gibt er seine Expertise aus dem Spitzensport direkt an Ausdauersportler aller Leistungsstufen weiter. Ob Trainingsplanung, Leistungsdiagnostik, Skilanglauf-Techniktraining oder Personal Training – Sebastian bietet maßgeschneiderte Betreuung und innovative Konzepte, die Sportler nachhaltig weiterbringen. Seine Leidenschaft für den Ausdauersport und seine fundierte Erfahrung machen ihn zu einem geschätzten Experten in der Szene. www.sportmeisterei.de