Marcialonga – Das Alpe d’Huez der Skilangläufer

Erleichterung © Maren Debertin

Der 45. Marcialonga in Italien war mal wieder mit knapp 8000 Teilnehmern ausgebucht. Magisch werden Skilangläufer aus aller Welt von diesem Skimarathon der Worldloppet und Ski Classics Serie über 70 Kilometer im Val di Fiemme mit dem legendären Schlussanstieg hinauf nach Cavalese angezogen. Nicht nur dort stehen die Zuschauer dicht gedrängt und feuern die Teilnehmer mit Kuhglocken, lautem Rufen und italienischem Temperament an, dass man sich vor kommt wie bei der Tour de France – wie wenn man selbst als Rennfahrer einen Alpenanstieg wie den nach Alpe d’Huez hinauffährt.

Für mich begann die Reise zu diesem Skilanglauf-Highlight am Freitagvormittag. Kurz hinter meinem Heimatort Karlsruhe hörte der Regen auf und das Wetter wurde Richtung Allgäu immer besser. Begleitet wurde ich von meiner Tochter Maren, die die Speicherkarte ihrer Kamera geleert hatte, um viele interessante Fotos zu schießen. Bereits am Fernpass war keine Wolke mehr am Himmel und es bot sich ein toller Blick auf Alpspitze und Zugspitze. Das gute Wetter sollte auch das ganze Wochenende so bleiben. Nach dem Brenner wählten wir bereits die Ausfahrt Bozen Nord, um über den Passo Lavaze ins Val di Fiemme zu gelangen. Auf der verkehrsarmen und schneefreien Passstraße kamen wir schnell voran und auf 1800 Meter genossen wir das Alpenpanorama und waren überrascht, welche erstklassigen Loipen auf dem Passo Lavaze bei über einem Meter Schnee im Angebot waren.

Für uns ging es aber wieder hinunter nach Cavalese, dem Zielort des Marcialongas, wo wir die Startnummernausgabe aufsuchten. Beim Blick auf die seitenweise ausgehängte Startliste wurde mir klar, dass sicher kein Gefühl von Einsamkeit auf der Strecke aufkommen würde. Alles war sehr gut organisiert und man wurde freundlich empfangen in Bella Italia. Nach kurzer Besichtigung des Zieleinlaufs, der mitten durch das Dorf durch enge Gassen geführt wird, fuhren wir zu unserem Hotel in der Nähe von Predazzo. Nach einer kurzen Auflockerungseinheit auf der Loipe vor Ort und einem Dreigang-Abend-Menü hieß es Ausruhen und Schlafen. Am Samstag-Vormittag bereitete ich 3 Paar Ski vor. Alle Ski wurden nur mit Gleitwachs zum Schieben präpariert. Im Jahre 2003 hatte Jörgen Aukland den Marcialonga erstmalig ohne Steigwachs gewonnen und hatte damit eine Revolution im Skimarathon und später auch generell im Skilanglauf ausgelöst. Die Skimarathons in klassischer Technik werden inzwischen von einer breiten Spitze ausschließlich in der Doppelstock-Technik absolviert. Auch ich trainiere seit einigen Jahren im Klassikbereich quasi nur noch diese Technik und mir macht es Spaß zu sehen, welche Fortschritte man hier trotz fortgeschrittenem Alters noch erreichen kann und welche Berge man auf einmal Hochschieben kann, was man vor nicht allzu langer Zeit noch für unmöglich gehalten hat. Zum Ski-Testen fuhren wir dann ins Weltcup Stadion nach Lago di Tesero, welches beim Marcialonga durchfahren wird. Vereinzelte Skimarathonläufer testeten hier ebenfalls. Helfer montierten Banner im Stadion, aber insgesamt war noch alles sehr entspannt. Die Ruhe vor dem Sturm!  

Frühstück und Befüllen der Trinkflasche mit Salz © Maren Debertin

Am nächsten Morgen standen wir um 5:30 Uhr auf, um zu packen und dann zu frühstücken. Ich füllte eine Löffelspitze Kochsalz in meine Trinkflasche, die schon mit einem Elektrolyt-Getränk vorbereitet war. Vor Jahren hatte ich festgestellt, dass ich während langer Rennen kontinuierlich Kochsalz zu mir nehmen muss, um Krämpfe jenseits von 2 Stunden Wettkampfdauer zu vermeiden. Im Morgengrauen brachen wir auf zum Start nach Moena. Jetzt war es mit der Ruhe vorbei: Überall Langläufer, Schlangen an den Toiletten-Häuschen, Abgabe der Beutel für das Ziel, Einchecken ins Startfeld. Die ersten 400 Teilnehmer starten auf dem eher schmalen Startfeld, während die weiteren Läufer in Wellen a‘ 1000 Teilnehmern auf die Strecke geschickt werden. Diese müssen sich solange mit Ski in der Hand in entsprechenden Bereichen aufhalten und jede Welle wird im Abstand von 5 Minuten gestartet. Für die Langläufer der Wellenstarts wird die Nettostartzeit beim Überqueren der Startlinie bestimmt, so dass hier ein faires Rennen gegeben ist. Ich war allerdings mit Startnummer 270 in der ersten Gruppe und pünktlich um 8:00 Uhr ertönte der Startschuss, 10 Minuten nachdem die Frauen der Ski Classic Profis gestartet waren.

Kurz nach dem Start © Maren Debertin

Schnell nahm das Feld Fahrt auf, aber schon kamen die ersten Engstellen und Anstiege. Es wurde relativ diszipliniert gefahren, so dass es in der Startphase trotz der wenigen Startspuren kaum zu Stürzen oder Stockbrüchen kam. Immer mehr Anstiege lagen auf den ersten Kilometern in Richtung dem nördlichen Wendepunkt in Canazei, die ich von meiner bis dahin einzigen Teilnahme im Jahr 2013 gar nicht mehr so in Erinnerung hatte. Aber die 1030 Höhenmeter müssen ja auch irgendwo her kommen. Zum Vergleich ist der Vasalauf mit 90 km deutlich länger, hat aber nur ca. 850 Höhenmeter. Auch gab es viele nicht einfache Zwischenabfahrten auf zum Teil eisigem Kunstschnee. Hier richteten sich viele Teilnehmer frühzeitig auf und machten durch Handbewegungen auf die Gefahrenstellen aufmerksam. Das kam mir fast ein wenig sehr vorsichtig vor und damit hätte ich gerade in Italien nicht gerechnet, aber ich sollte eines Besseren belehrt werden. Gerade hatte ich nach ca 5 Kilometern Michael Richter in Blickweite, der etliche Startreihen vor mir ins Rennen ging und dem ich zumal mit gleichem Jahrgang immer wieder bei Skimarathons über den Weg laufe und der auf den langen Skimarathons hervorragende Ergebnisse erzielt, da passierte es dann doch: Massensturz auf einer engen Brücke nach einer Abfahrt mit Linkskurve. Ich hatte keine anderen Wahl als in die gestürzten Läufer hineinzurutschen. Ich versuchte mich einigermaßen kontrolliert über die linke Seite abzulegen, verkeilte mich aber trotzdem mit einem vor mir liegenden Athleten. Von hinten rauschten weitere Teilnehmer heran. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich wieder auf den Beinen und in der Spur war. Um mich rum viele zerbrochene Carbonstöcke und sogar eine Skispitze. Nun galt es Bilanz zu ziehen. Bei den ersten Doppelstockschüben gaben die Stöcke nicht nach. Schon mal gut. Ein Blick auf die Stockspitzen: Waren beide noch dran und ausgerichtet. Also ging es weiter im Rennen. Hier hätte es auch schon vorbei sein können, weil Doppelstock mit nur einem Stock funktioniert nicht. Michael war natürlich auf und davon und ich habe ihn im weiteren Verlauf auch nicht mehr wieder gesehen.

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