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Professor Matthias Scherge im Interview über den Nachweis von Fluor und Alternativen

Matthias Scherge am XPS © Team Snowstorm

Professor Matthias Scherge berät die FIS bei der Entwicklung eines Fluor-Testgeräts, um die Umsetzung des Fluor-Verbots zum kommenden Winter zu ermöglichen. Jason Albert von fasterskier.com hat sich mit dem Fachmann auf dem Gebiet der Tribologie unterhalten. Hier veröffentlichen wir eine überarbeitete Übersetzung des Interviews. 

Matthias, das Fraunhofer MikroTribologie Centrum wurde ausgewählt, um ein Fluor-Testgerät zu entwickeln. Wie kam es dazu? Fluor scheint ja auf dem Skibelag nicht so einfach nachzuweisen zu sein.

Fraunhofer MikroTribologie Centrum © Team Snowstorm

Dazu kam es nach der Entscheidung der FIS im November 2019. Im Dezember lud die FIS drei Spezialisten aus Norwegen, Österreich und Deutschland an den Flughafen in München ein, und wir wurden von einer Gruppe von sieben oder acht FIS-Offiziellen, darunter ein Chemiker, nach unserer Expertise befragt. Nach diesem Treffen entschieden sie sich für Fraunhofer und sie beschlossen, mich als wissenschaftlichen Berater für dieses Projekt einzusetzen, da wir seit fast 20 Jahren auf diesem Gebiet tätig sind. Wir haben für Wachs- und Skifirmen gearbeitet und eine Menge Arbeit in Bezug auf Grundlagen- und angewandte Forschung geleistet. Wir verfügen über alle notwendigen Prüfgeräte und auch über das Wissen. Wir haben besonders in den letzten zwei Jahren viel Zeit mit Fluorprojekten verbracht, zum Beispiel in der Masterarbeit von Langläufer und Biathlet Thierry Langer.

Ein Teil des Vorschlags, den ich der FIS unterbreitet habe, bestand darin, dass Fraunhofer die Grundlagenforschung und die Kalibrierung übernimmt. Weiterhin schlug ich vor, die Firma Kompass GmbH zu involvieren, um das Gerät zu entwickeln. Bei Kompass handelt es sich um ein High-Tech-Unternehmen, das sich auf Sensorik und optische Analysen spezialisiert hat. Sie kommen aus der Umwelttechnik und haben Erfahrung in der Analyse von Schadstoffen in Luft und Wasser.

In der Vergangenheit dachten die Leute, es sei ziemlich kompliziert, Fluor zu detektieren. Aber in Wirklichkeit gibt es wegen vieler Umweltprobleme, wie z.B. Fluor in der Atmosphäre (FCKW), eine ganze Reihe von Verfahren die in der Lage sind, Fluor nachzuweisen. Es gibt zum Beispiel Infrarotspektroskopie oder Röntgenfluoreszenzanalyse. Es gibt Geräte, die Fluor sofort nachweisen können.

Waren die Kosten der limitierende Faktor bei der universellen Einführung von Fluor-Tests?

Die Kosten waren eine Sache. Im Labor verwenden wir XPS, was für Röntgen-Photoelektronenspektroskopie steht. Das ist eine Maschine, die 2 × 2 × 2 Meter groß ist und Ultrahochvakuum benötigt. Daran kann man schon erkennen, dass es kein passendes Verfahren ist, da man die Maschine nicht zum Wettkampfort transportieren und dort vor Ort testen kann. Es handelt sich um ein reines Laborgerät für die quantitative chemische Analyse, und die Kosten für eine solche Maschine belaufen sich auf etwa eine Million Euro.

Das eigentliche Problem bestand darin herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gibt, ein kleines Gerät zu entwickeln, das eine ähnliche Auflösung hat und Fluor auf einfache Art und Weise nachweisen kann. Und deshalb sind wir ins Spiel gekommen.

In der Vergangenheit hat man, wie bei einigen norwegischen Juniorenrennen, einen Klebstreifentest verwendet. Man bringt den Streifen auf den Ski auf und schickt ihn dann zum Testen in ein Labor in Deutschland. Was sind die Probleme bei diesem Verfahren?

Das Verfahren wurde in einem EU-Projekt mit Gruppen aus Norwegen, Schweden und einigen anderen europäischen Ländern, darunter ein deutsches Institut, entwickelt. Zuerst wird ein Klebestreifen auf dem Skibelag aufgebracht. Dann wird er abgezogen, in der Hoffnung, dass einige Wachspartikel auf dem Streifen verbleiben. Dieses Stück Klebeband wird dann zum Institut in Deutschland zum Testen gebracht. Das funktioniert, ist aber kompliziert. Wir haben des Verfahren in GLIDING 3(2019) beschrieben.

Was macht es kompliziert?

Zunächst einmal hüten Athleten und Serviceleute ihre Ski wie ihren Augapfel. Und dann taucht jemand auf und sagt: „Gib mir mal deinen Ski, ich klebe etwas Klebeband darauf und ziehe es ab.“ Die Athleten würden protestieren, es niemals zulassen. Bei den Junioren mag das in Ordnung sein, aber für ein FIS-Rennen geht das auf keinen Fall, es funktioniert nicht. Das ist die erste Herausforderung.

Die zweite Herausforderung besteht darin sicherzustellen, dass auf dem Weg vom Wettkampfort zum Labor keine Manipulationen vorgenommen werden können. Es ist wie beim Transport einer Doping-Probe, es ist kompliziert, man muss sicherstellen, dass es keine fehlerhafte Zuordnung gibt. Dann dauert es mindestens drei bis vier Tage, bis man die Ergebnisse hat. Es gibt also keine Möglichkeit, gleich zu Beginn des Rennens zu sagen, dass ein Athlet nicht starten oder dass alles gut ist und er teilnehmen darf. Deshalb haben wir gesagt, wenn wir uns ernsthaft mit der Sache beschäftigen, ist dies keine praktikable Testmethode. Wir brauchen etwas, das direkt am Ort des Geschehens angewendet werden kann und das Ergebnis eine Sekunde nach dem Test für die Entscheidung feststeht.

Wenn man einen Skibelag gereinigt hat, auf den in der Vergangenheit Fluor aufgebracht wurde, wissen wir, dass Rückstände von Fluor vorhanden sind. Kann das in der Entwicklung befindliche Testgerät Rückstände von Fluor auf dem Skibelag erkennen?

Ja, das kann es. Tatsächlich gibt es hier aber ein Problem. Es gibt ein paar flüssige Reinigungsmittel, welche selbst Fluor enthalten. Es könnte also die folgende Möglichkeit entstehen: Man hat einen sauberen Ski. Dann verwendet man einen Wachsentferner oder Reiniger und bringt damit unabsichtlich Fluor auf. Auch in Grundwachsen können Spuren von Fluor aus der Herstellung des Wachses vorhanden sein. Es gibt also eine ganze Reihe von Quellen für Fluor. Die Frage ist, was der richtige Grenzwert für Fluor ist. Wann ist man positiv und wann negativ?

Wir betreiben die ganze Forschung, um den Grenzwert zu definieren. Dann können wir den Leuten sagen: „Keine Sorge, das ist nur Verunreinigung, aber seid vorsichtig bei diesen Werten, denn es scheint Fluor aus eurem Wachsprozess zu sein.

Für die kommende Saison werden gerade die Grenzwerte und Toleranzen definiert, um zwischen der Verwendung von fluorierten Wachsen und einer möglichen Verunreinigung oder einer unvollständigen Reinigung von bereits vorhandenem Material zu unterscheiden. Die Grenzwerte auf Basis unserer Experimente werden während der FIS Validierungsphase im Sommer 2020 überprüft.

Kann man aufgrund eurer Tests feststellen, ob ein Ski frisch mit Fluor gewachst wurde oder ob es nur Fluorrückstände einer früheren Fluorverwendung sind?

Es gibt einen deutlichen Unterschied in der Fluorkonzentration, der nur durch das Wachsen des Skis entstanden sein kann.

Könnt ihr in eurem Labor auch die Wirksamkeit von Fluor testen, wenn es um die Skigeschwindigkeit geht?

Professor Matthias Scherge © Team Snowstorm

Wir sind sehr gut ausgerüstet. Wir haben die gesamte Ausrüstung: Photoelektronenspektroskopie für chemische Analytik, verschiedene Mikroskope für die Rauheitsmessung und wir haben vier Schnee- und Eisreibungsmaschinen. Wir können im Labor Schnee produzieren oder auch mit natürlichem Schnee arbeiten. Gleitprozess können bis zu einer Geschwindigkeit von 150 km/h nachgebildet werden. Wir sind, wie ich sagte, sehr gut ausgerüstet, um die grundlegenden Dinge zu tun, und dann sind wir auch sehr intensiv mit Testteams in Kontakt, die in den Skitunnel gehen oder draußen im Feld unterwegs sind. Die ganze Kette der notwendigen Kontakte steht unserem Netzwerk zur Verfügung.

Was sind die neuesten Erkenntnisse darüber, wie stark das Wachs die Endgeschwindigkeit eines Skis beeinflusst?

Die ganz neuen Ergebnisse findet man immer auf der GLIDING Webseite. Bereits 2016 hatten wir die Eindringtiefe von Fluor in den Skibelag gemessen. Wir taten dies, weil die Ski-Techniker immer sagten: „Man muss den Skibelag viele Male bearbeiten, bis er beginnt, das Wachs zu absorbieren. Das heißt, man muss mehrere Male wachsen und abziehen, und dann ist der Ski bereit.“ Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Wir haben sehr viel Mikroskopie bis hinunter auf die molekulare Ebene durchgeführt und diese hat gezeigt, dass es in einem Skibelag keine Poren gibt. Es ist nur die molekulare Oberflächenstruktur, die mit Wachs imprägniert werden kann. Diese Schicht hat eine Dicke von weniger als einem Mikrometer. Ein Haar hat einen Durchmesser von ca. 50 Mikrometern und die von den Technikern erzeugte Polyethylen/Wachsschicht auf dem Skibelag hat somit nur eine Dicke von 1/50 davon.

Ist das Schleifen des Skibelags die effektivste Art, ihn zu „reinigen“ (Fluorreste zu entfernen)?

Wenn man 100 Mikrometer durch den Schleifprozess entfernt, ist das 100 Mal mehr, als die Oberflächenstruktur, die von den Ski-Technikern erzeugt wurde. Wenn man also nicht sicher ist, was man tun soll, bringt man den Ski zum Schleifen und hat einen „frischen“ Ski.

Habt ihr untersucht, ob alte Bürsten/Kork Fluor in den Belag einbringen, das vom Testgerät erkannt werden kann?

Im Moment arbeiten wir an einem Rezept zur Reinigung kontaminierter Bürsten. Abziehklingen sind kein Problem, es ist nur ein Stück Plastik. Aber die Bürsten sind ein Problem. Fünfzig Euro für eine Bürste – das ist eine Menge Geld. Es handelt sich um ein Waschverfahren. Wir arbeiten eng mit den Technikern und dem Rennservice der Firmen zusammen. Wir hatten einige Treffen mit ihnen, um sie mit dem Testgerät vertraut zu machen. Das letzte Treffen war im Juni und dort haben wir ihnen auch gesagt, dass wir nach einer Möglichkeit suchen, die Ausrüstung zu reinigen.

Einige Skifirmen imprägnieren ihre Beläge mit Fluor. Kann das Testgerät dieses Fluor erkennen oder sind die Mengen zu gering?

Ja, wir können auch diese Fluorkonzentrationen nachweisen. Bei der Verarbeitung der Polymere für den Belag aus ultrahochmolekulargewichtigem Polyethylen (UHMWPE) wird vor dem Backprozess der UHMWPE-Körner fluoriertes Wachs zugegeben. Ich persönlich denke, dass die Skitechniker einem Mythos, ähnlich wie dem der Poren im Polyethylen, folgen. Es zeigte sich, dass Fluorwachs gut funktioniert, also wurde es auch in den Skibelag eingebracht. Da die Gleittests sehr oft von denselben Leuten durchgeführt werden, die die Ideen haben, wurden auch Vorteile gemessen. Und dann verbreitete sich diese Erkenntnis und jeder denkt, es ist wichtig, es genauso zu machen. Die sehr guten Gleiteigenschaften kommen aber eher durch gekonnte Handwerksarbeit bei der Präparation der Polyethylen/Wachsschicht.

Welchen Rat wirst du der FIS geben, wenn es um die Festlegung von Toleranzen und Grenzwerte für Fluor auf Skibelägen geht?

Der Standpunkt der FIS ist, kein fluoriertes Wachs zu verwenden. Wen dem entsprochen wird, dann müssen wir nicht über Grenzwerte und Toleranzen sprechen, sondern einfach die Regeln befolgen, das fluorierte Wachs vergessen und mit den Rennen weitermachen.

Welche Methoden/Protokolle empfehlt ihr bei der Verwendung des Testgerätes, um sicherzustellen, dass keine falsch positiven/falschen Ergebnisse auftreten?

Die FIS sagt, dass es für jede ihrer Disziplinen eine angepasste Vorschrift für die Handhabung und die Tests geben wird. Es wird in der Regel vor dem Start und nach dem Ende des Wettkampfes an verschiedenen Stellen (drei bis fünf Stellen) auf dem Ski getestet. Dann erscheint das Ergebnis und ich schätze, dass es für die erste Saison wie im Fussball so etwas wie die rote Karte und zuvor die gelbe Karte als erste Verwarnung geben wird. Danach werden wir zusammen mit der FIS die Grenzwerte für die nächsten Jahren Schritt für Schritt senken, um am Ende überhaupt kein Fluor mehr auf den Skiern zu haben.

Wann werden die tragbaren Testgeräte verfügbar sein?

Wir werden der FIS diesen Sommer fünf technische Prototypen zur Verfügung stellen, damit sie die Tests vor Ort durchführen kann.

Wie hoch sind die voraussichtlichen Kosten für die Handgeräte, die im Weltcup eingesetzt werden sollen?

Sie werden weniger als 10.000 Euro betragen.

Es steht außer Frage, das Periodensystem gibt es schon lange. Und die Elemente auf der Tabelle sind eingehend untersucht worden. Fluor funktioniert außerordentlich gut bei der Entwicklung von Verbindungen, die Wasser und Schmutz abweisen. Kannst du dir vorstellen, dass die Industrie eine Substanz finden wird, die so wirksam wie Fluor ist, wenn es darum geht, die Skigeschwindigkeit mit Wachs zu maximieren?

Wir haben unserer Gruppe für atomistische Simulation die gleiche Frage gestellt, da dies schwer zu messen ist – Messungen auf atomarer oder molekularer Ebene sind ziemlich kompliziert. Wir haben eine Simulationsmethode eingesetzt, mit der wir in der Lage sind, ein komplexes System mit einigen hundert Millionen Atomen zu simulieren. Wir taten dies mit Kohlenstoff, der mit Fluor bedeckt war. Es wurden die Kontaktwinkel, das heißt die Benetzungseigenschaften, berechnet. Auf Basis dieser Simulationen kamen wir zu dem Schluss, dass es für den Ersatz von Fluor nur ein einziges Element im gesamten Periodensystem gibt, das eine ähnliche Wasserabstoßung erzeugt, und das ist Wasserstoff. Wenn man in der Lage wäre, den Skibelag mit Wasserstoff zu bedecken, aber es muss atomarer Wasserstoff sein, dann erhält man die gleichen Gleiteigenschaften wie mit Fluor. Aber das ist nur ein theoretischer Ansatz. Das wird nie funktionieren, weil es keine Möglichkeit gibt, Wasserstoff, insbesondere atomaren Wasserstoff, an einen Skibelag zu binden. Die Antwort ist daher: Es existiert keine wirkliche Alternative zum Fluor. Die Rennen werden langsamer sein, sobald das Fluor wegfällt.

Danke Matthias für dieses sehr interessante Interview!

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