Ein Blick unter das größte Loipennetz der Schweiz im Engadin

Loipenmaschine © Engadin Tourismus

Langlaufparadies Engadin – es ist kein Geheimnis, dass das Klassisch Laufen und Skaten in der Hochebene von Maloja bis S-chanf die Läuferherzen höherschlagen lässt. Jeden Winter verzaubern die Engadiner Traumloipen mit ihrer Pracht tausende Langlauffans aus aller Welt. Genauso faszinierend ist der Blick hinter bzw. unter die glitzernde Loipenkulisse. Denn die jährliche Verwandlung der gefrorenen Seen, Moorlandschaften und zweier Golfplätze ins größte Loipennetz der Schweiz ist immer wieder eine Mammutaufgabe.

Ob beim Skaten und Klassisch Laufen durch die magische Seenlandschaft, winterliche Nadelwälder oder verträumte Seitentäler – Langlaufbegeisterte finden auf den Engadiner Loipen, was sie suchen: Top Loipenqualität, unterschiedliche Topografien und immer wieder landschaftliche Höhepunkte, die zum Verweilen einladen. Das Loipennetz zählt nicht nur zu den schönsten des Landes, sondern ist mit über 240 Loipenkilometern auch das größte der Schweiz. Die Spuren führen dabei durch zwölf unabhängige politische Gemeinden, über vier Seen, zwei Golfplätze, an einem Flugplatz vorbei und im Stazerwald über Hochmoore von nationaler Bedeutung. Die wohl berühmteste Engadiner Strecke, die Marathonloipe, vereint auf ihren 42 Kilometern gleich sämtliche Höhepunkte in einem Lauf. Ebenso führen die weißen Spuren über diverse Unterlagen, die einer speziellen Präparation bedürfen.

Ein paar generelle Zahlen und Fakten verdeutlichen die Dimension der jährlichen Loipenpräparation: Mit insgesamt 14 Pistenmaschinen und fünf zusätzlichen kleineren Schneemobilen werden an 140 bis 150 Tagen im Jahr die Loipen präpariert. In gut 5’200 Arbeitsstunden spuren die Loipenfahrer rund 52’000 Kilometer – zum Vergleich: die Distanz vom Engadin bis zum Nordpol beträgt knapp 5’000 Kilometer.
Die Verantwortung für die Loipen liegt dabei bei den Gemeinden. Um trotzdem eine Gesamtkoordination zu etablieren, wurde vor der Jahrtausendwende die Koordinationsstelle «Loipen Engadin» geschaffen, welche organisatorisch dem Verein Engadin Marathon angegliedert ist. «Alles, was mit der eigentlichen Präparation zusammenhängt, ist weiterhin Sache der Gemeinden», erklärt Menduri Kaspar, CEO Engadin Skimarathon. «Loipen Engadin hingegen übernimmt den gesamten Verkauf der Loipenpässe, die Erfassung und Abrechnung der Maschinenstunden und die Ausrüstung sämtlicher Fahrzeuge mit GPS-Systemen über die ganze Region hinweg.»

Stimmen die klimatischen Bedingungen zur Herstellung von Kunstschnee und ist der Boden genügend gefroren, geht es Mitte November los mit der Beschneiung der ersten Loipen. Dazu gehört das Loipen-Dreieck zwischen Celerina, Pontresina und Samedan. Dies ist der eigentliche Startschuss für Corado Vondrasek, einer von insgesamt 18 bis 20 Engadiner Loipenfahrern.

Loipenmaschine © Engadin Tourismus

Bereits seit zwanzig Jahren präpariert er die Loipen der Gemeinde Samedan, insgesamt ca. 25 Kilometer. Da «seine» Loipen mitunter als erste beschneit werden, ist der Saisonstart für ihn immer ungefähr zur selben Zeit. Wenn es im Vorwinter mit der Präparation los geht, herrscht bei Vondrasek eine gewisse Anfangseuphorie: «Der ganze Aufbau der Loipe ist anspruchsvoll. Da wird die Grundlage für den gesamten Winter geschaffen, das finde ich spannend.» Es werde in dieser Phase viel mit der Pflugschaufel gearbeitet, da der Schnee verteilt und damit Unebenheiten und Löcher im Boden ausgeebnet werden müssen. Dies erfordere ein bisschen Gespür. «Wenn die Loipe erst einmal aufgebaut sei, ist die tägliche Präparation kein Kunststück mehr», erklärt Vondrasek. «Insbesondere mit den neuen Maschinen, die allesamt mit Gummiraupen ausgerüstet sind, kann man nicht mehr viel falsch machen». Auch nicht auf der delikateren Unterlage des Golfplatzes Samedan, welcher zu seiner Runde gehört. Die Greens und größtenteils auch die Fairways werden trotzdem grosßzügig umfahren. Denn komprimierter Schnee, egal ob natürlich oder technisch hergestellt, hinterlässt Spuren, da der Boden darunter mehr in die Tiefe gefriert und im Frühling deshalb länger braucht, bis er wieder taut.
Für seine Strecke benötigt Vondrasek zwischen vier und fünf Stunden. Damit die Loipe zwischen 9 und 10 Uhr bereit ist, fährt er spätestens um 5 Uhr in der Früh los, dem Sonnenaufgang entgegen. «Wenn es in diesem wunderschönen Tal zu dämmern beginnt, ist das immer wieder faszinierend», schwärmt er. «Oder wenn ich auf meinen Fahrten Tieren begegne; das ist ebenfalls jedes Mal speziell». Hirsche, Rehe und Hasen sehe man ab und zu.

Unterwegs bei Celerina © Engadin Tourismus

Sonst sei die tägliche Loipenpräparation jedoch eine eher eintönige Angelegenheit. «Ich bin wohl auch kein typischer Loipenfahrer», schmunzelt er. Denn er sei im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen weder ein großer Maschinenfan noch gefalle ihm die Einsamkeit besonders gut. «Aber die Abwechslung meiner verschiedenen Jobs, auch derjenige als Loipenfahrer, die schätze ich sehr», meint der ehemalige Bergführer und Hüttenwart. Im Sommer arbeitet Corado Vondrasek als Revierförster der Gemeinden Samedan und Pontresina, im Winter ist er nebst seiner Arbeit als Loipenfahrer auch für den Lawinendienst tätig. Nebst den verschiedenen Jobs hat er zudem viele Hobbies.

Eines davon ist Langlaufen. Wohl auch deshalb weiß er genau, worauf es bei einer guten Loipe ankommt. Für schnellere Loipen wäre eine Präparation am Abend ideal, erklärt er, «doch wir präparieren meistens am frühen Morgen». Einer der Gründe dafür ist, dass immer mehr Läufer nach dem Eindunkeln auf die Loipen gehen. «Eine frisch präparierte Loipe geht dadurch kaputt bzw. ist dann am Morgen zu hart – insbesondere für Läufer, die noch nicht ganz sicher auf dem Langlaufski stehen», erklärt Vondrasek. Auch wenn es in der Nacht schneit oder stark windet, macht es mehr Sinn, am Morgen zu präparieren, damit der Neuschnee genügend Zeit hat, sich natürlich zu verdichten. Und manchmal ist eine Präparierpause die beste Medizin für eine perfekte Loipe. Beispielsweise dann, wenn aufgrund des Genua-Tiefs viel feuchter Schnee fällt im Engadin – fährt man dann zu früh mit dem Loipenfahrzeug drüber, finden die Langläufer später eine vereiste Loipe vor.

Wenn man bedenkt, dass der Samedaner Loipenabschnitt «nur» ungefähr ein Zehntel des gesamten Engadiner Langlaufnetzes darstellt und die Präparation der Seeloipen und Hochmoore nochmals ganz eigenen Regeln folgt, wird deutlich, dass hinter den Superlativen, welche den Engadiner Loipen zugeschrieben werden, viel Einsatz und große Investitionen einer ganzen Region stecken. Dass dieses Engagement von der Langlaufszene entsprechend wertgeschätzt wird, freut auch Corado Vondrasek. «Gerade im vergangenen Winter, der wegen des mangelnden Schnees und warmen Temperaturen sehr schwierige Präparationsbedingungen bot, kamen immer wieder Personen auf uns zu, die sich bei uns bedankten.» Es sei wirklich schön zu sehen, dass Einheimischen und Gästen bewusst ist, was alles unternommen wird, damit wir jedes Jahr dieses fantastische Loipennetz anbieten können. «Zudem haben wir das Privileg, dass wir dank der Höhenlage wohl noch viele Jahre genügend kalte Nächte haben werden, um Kunstschnee herzustellen.» Und damit hoffentlich auch noch lange ein «Langlaufeldorado» bleiben.