Fluor-Verbot der FIS und der IBU: Eine Einschätzung von Frank Zipp

Skiwachsen © Modica/NordicFocus

Für ambitionierte Skifahrer, in erster Linie Langläufer, hat keine Regelung der letzten Zeit so deutliche Auswirkungen, wie das im November 2019 vom Council der FIS beschlossene und im Frühjahr ins Regelwerk der FIS übernommene generelle Verbot der Verwendung fluorierter Wachse bei FIS-Wettkämpfen. Die IBU trat wenig später der Neuregelung bei. Da es in zeitlicher Nähe zum Inkrafttreten einer EU-Regulierung, die u.a. auch Fluorwachse betrifft, bekannt wurde, sind hier zahlreiche Verwechslungen und Unklarheiten aufgetreten. Mit diesem Beitrag soll für mehr Klarheit gesorgt werden.

1. Richtlinie der EU

Bis zum 4. Juli 2020 war von Seiten der Rohstofflieferanten, Hersteller und Händler eine EU-Richtlinie umzusetzen, der zu Folge keine fluorierten Produkte (und damit auch fluorierte Wachse) mehr verkauft werden dürfen, die einen bestimmten Grenzwert an PFOA (Perfluoroktansäure / C-8-Ketten) überschreiten. PFOA ist einerseits ein Emulgator zur Herstellung von fluorierten Stoffen und andererseits ein Abbauprodukt verschiedener teilfluorierter Verbindungen. Es gab schon seit Jahren einen Grenzwert für PFOA, der nun zum 4. Juli nochmals abgesenkt wurde: auf 25ppb. Damit ist auch die sogenannte C-8-Chemie nicht verboten, aber man muss diesen Grenzwert einhalten. Mit der neuen Regelung sind viele Skiwachshersteller von der C-8-Chemie auf C-6-Chemie umgestiegen, bei der keine PFOA entstehen kann. Rohstofflieferanten haben dazu ihr Angebot entsprechend angepasst. Sie fertigen auf Basis der C-6-Chemie mit Perfluorhexansäure (PFHxA) als Emulgator. Da die Absenkung der Grenzwerte seit 2017 bekannt war, konnten sich Wachshersteller mit der gebotenen Sorgfalt auf die neue Lage vorbereiten und die Bestimmungen einhalten. Denn die EU-Vorschrift hat die Kraft eines Gesetzes und ist verpflichtend in der gesamten EU durch jedermann zu beachten.

Warum wurden die Grenzwerte gesenkt?

In der Diskussion der letzten Jahre ging es immer wieder um 2 Leitsubstanzen aus der Fluorchemie: Perfluoroktansäure PFOA und Perfluoroktansulfonsäure PFOS. Die PFOS spielt im Bereich der Skiwachse keine Rolle und ist im Übrigen seit Juni 2008 in der EU mit Grenzwerten belegt. Sie ist streng genommen die problematischere der beiden Verbindungen. Beide Stoffe sind persistent (langlebig) und bioakkumulativ (sammeln sich am Ende der Nahrungskette). In Lebewesen binden sie sich bevorzugt an das Serumprotein Albumin im Blut. Dies ist eine Art Universaltransportmittel des Blutes. PFOS und PFOA lagern sich besonders in der Leber an. Mit der Absenkung der Grenzwerte für PFOA reagiert man auf die Ergebnisse verschiedener Studien. Bei Tierversuchen hat sich bei sehr hohen Konzentrationen (orale Gabe) und langer Studiendauer eine Zunahme der Lebermasse und erhöhte Tumorneigung in der Leber nachweisen lassen. Zudem greift PFOA über das Serumalbumin in den Fettstoffwechsel ein. Beim Menschen ist bisher noch kein einziger Tumorfall durch PFOA in der Literatur benannt! Die PFOA wird zwar wieder ausgeschieden, aber das kann je nach Lebewesen unterschiedlich lange dauern: Bei Versuchstieren waren es in Abhängigkeit von Geschlecht und Hormonstatus Wochen, beim Menschen liegt die Halbwertszeit bei etwa 4 Jahren. Mit den neuen Grenzwerten werden die Lebewesen geschützt und auch die chemische Industrie kann damit leben. Die PFOA ist überdies für das Gleiten auf Schnee völlig wertlos: zu weich, zu niedriger Schmelzpunkt. Wir brauchen sie daher nicht!

2. Entscheidung FIS/IBU

Im November 2019 ging zunächst vom Council der FIS, in der Folge dann auch von der IBU die Entscheidung aus, dass alle Fluorverbindungen in Skiwachsen (noch nicht diejenigen, die sich in Skibelägen befinden!) bei allen Weltcups, aber auch bei allen anderen Veranstaltungen der FIS und IBU ab der kommenden Wintersaison verboten sein sollen. Dieses totale Verbot sei erforderlich, weil die Einhaltung der EU-Grenzwerte durch die FIS nicht überprüft werden könne. Somit sei ein totales Verbot von Fluorverbindungen die einzige Möglichkeit, Gesundheits- und Umweltschutz zu praktizieren. Zur Begründung wurde in Interviews noch angeführt, dass die Maßnahme für mehr Gerechtigkeit und Fairness im Sport sorge. Auch von geringeren Kosten für finanzschwächere nationale Skiverbände war die Rede. Dabei sollten in der ersten Saison 2020/21 noch gewisse Toleranzen akzeptiert werden, die ab 2021/22 schrittweise abgesenkt werden. Wie es inzwischen heißt, wird im ersten Winter nur bei Weltcups und Weltmeisterschaften getestet, ob ein Athlet fluorierte Wachse verwendet hat, ab 2021/22 bei allen Rennen, die auf dem FIS-Kalender stehen. Die Entwicklung eines Messgerätes ist aktuell in Arbeit. Seine Vorstellung wurde bereits mehrfach verschoben. Nach derzeitigem Stand soll es Ende Oktober den nationalen Verbänden und der Skiwachsindustrie präsentiert werden. Also: Ja, fluorierte Wachse dürfen weiterhin verkauft und auch benutzt werden, solange sie die neuen Grenzwerte berücksichtigen. Ein Verbot von fluorierten Wachsen können FIS und IBU nur innerhalb der eigenen Wettkämpfe als Wettkampfregel aufstellen.

3. Argumentation gegen Fluorwachse

Fluorwachsgegner argumentieren gern mit Studien, die die Wirkung von sogenannten PoPs (persistente organische Schadstoffe) untersuchen. In ihrer Argumentation werden oftmals PFC (Perfluoralkane) und PFAA (Perfluoralkansäuren) gleichgesetzt. Zu den PFAA zählt auch die PFOA. Eine Differenzierung der einzelnen Stoffe erfolgt aber in der Regel nicht. Perfluorwachse, insbesondere die Pulver, sind auch PFC. Diese sind chemisch stabil, sehr langlebig und biologisch inaktiv. Sie zersetzen sich erst bei Temperaturen weit über 200°C. PFCs sind in größerem Stil seit den 1950er Jahren auf dem Vormarsch. Teflon wurde in den 1940er Jahren durch Zufall entdeckt und ermöglichte z.B. erst die Anreicherung von Uran mit all ihren Facetten. Darüber hinaus haben PFC aber auch eine Vielzahl von friedlichen Anwendungen und nützlichen Eigenschaften:

  • Hohe chemische Beständigkeit
  • Breites Temperaturfenster
  • Biologisch und chemisch inaktiv
  • Lange Lebensdauer
  • Niedrige Oberflächenenergie
  • Niedriger Reibungskoeffizient
  • Nicht brennbar
  • u.v.a.m.

Auch im Bereich der Medizin kommen PFC bzw. Fluorverbindungen zum Einsatz: Der Bereich Augenheilkunde und Herstellung von lebenswichtigen Medikamenten wie Antibiotika soll hier nur exemplarisch genannt werden.

4. Die Einordnung der vorgetragenen Argumente

„Fluor ist giftig“

Stimmt! Fluor als Gas ist giftig und hoch reaktiv. In der Natur kommt es in Reinform nur extrem selten vor. Aber: Wir haben es mit Fluorverbindungen zu tun. Davon gibt es sehr viele und sehr unterschiedliche. Einige kommen auch in Lebensmitteln (Trinkwasser, Salz…), Medizinprodukten (Zahnpasta, Fluorlack für den Zahnschmelz, Antibiotika…) oder in der Küche (Teflon) vor.

„Der Stoff PFOA ist schädlich“

Diese Aussage ist richtig. PFOA gehört zur Gruppe der PFCs, die seit Jahren unter Beobachtung der Umweltschutzbehörden stehen. Allerdings ist die Verwendung von PFOA in Deutschland und der EU ohnehin nur noch sehr eingeschränkt erlaubt gewesen, ab 2025 soll sie ausnahmslos verboten sein.

„Wieso war oder ist PFOA in Skiwachsen?“

PFOA wurde als Emulgator für die Synthese von PFC aus Tetrafluorethylen (TFE) gebraucht. Rückstände fanden sich dann immer noch im Endprodukt. Heute hat man verbesserte Reinigungsverfahren oder man nimmt Ersatzstoffe, wie z.B. die Perfluorhexansäure. PFOA ist nicht vollständig aus unserer Umgebung verschwunden, seitdem es reguliert worden ist. Aber der Anteil ist rückläufig und wird durch die Regulierung der EU noch weiter zurückgehen.

„Gibt es PFOA nur bei Skiwachsen?“

Nein. In der Skiwachsindustrie fällt nur ein extrem kleiner Teil an. Ein beachtlicher Teil der PFOA wurde in der Papier- und Textilindustrie zur Öl- und Wasserabweisung verwendet. Außerdem gibt es Zahlen aus dem Jahr 2017, die Aufschluss über die Emission von PFC geben. Einige dieser PFCs können sich in PFAA, wie zum Beispiel PFOA, verwandeln. In einer Auswahl von 37 europäischen Fabriken (Energie-, Metallverarbeitungs-, Chemie-, Müll- und Abwassersektor) wurden über die Luft 30.435 Tonnen PFC emittiert. Auch bei der Herstellung von Aluminium fallen große Mengen von PFC als Nebenprodukt an.

„Wieviel PFOA wird durch Skiwachse freigesetzt?“

Man schätzt den Welt-Skiwachsmarkt auf ca. 300 bis 350 Tonnen pro Jahr. Rohstoffhersteller geben an, dass davon pro Jahr etwa sechs bis acht Tonnen Fluorwachse sind. Der Gehalt an PFOA lag in der Vergangenheit bei etwa 1ppm, das wären sechs bis acht Gramm pro Jahr. Rechnet man noch die Vorstufen dazu, ist es etwa die doppelte Menge. Mit den neuen Grenzwerten sind es pro Jahr und weltweit 150 bis 200mg PFOA zuzüglich sechs bis acht Gramm der Vorstufen, die aber nicht zwangsläufig zu PFOA werden.

„Welche Schäden durch PFOA haben Wissenschaftler festgestellt?“

Bei Versuchen mit Labortieren kam es bei einem Teil der Tiere, die mit großen Mengen PFOA gefüttert worden sind, zu Veränderungen, vorrangig an der Leber. PFOA konnte in der Muttermilch von Tieren nachgewiesen werden. Eine Übertragung von der Mutter auf das Kind konnte nicht eindeutig nachgewiesen werden. Bei den Versuchen erhielten z.B. Ratten über 2 Jahre täglich 1,3mg/kg LM PFOA in ihrem Futter. Im Resultat erkrankten 42% der Tiere an Tumoren. Wenn man diese Versuchsanordnung auf Menschen übertragen würde (bei einem sehr hohen Sicherheitsfaktor sogar von 0,01), müsste ein 80kg schwerer Mann täglich 5,77mg PFOA 2 Jahre lang oral zu sich nehmen. Das entspricht der oralen Aufnahme der Weltjahresmenge an PFOA in Skiwachsen durch einen Menschen aus 21 Jahren.

„Der Skisport wird durch ein Fluorwachsverbot gerechter, billiger und fairer.“

Würde er es doch nur! Wenn das Fluorwachsverbot tatsächlich greifen sollte, dürfte es jedoch so aussehen, dass die Vernichtung von großen Mengen an vorrätigen Wachsen erforderlich ist. Man geht dabei von einem Wert von einigen Millionen aus. Je dünner die finanzielle Decke eines Verbandes ist, desto mehr wird er durch das Verbot gebeutelt werden. Auch die in den letzten Jahren gesammelten und dokumentierten Erfahrungen mit Wachsen und ihren Einsatzmöglichkeiten werden durch ein Verbot von Fluorwachsen wertlos, neue müssen erst allmählich entstehen. Den Gerechtigkeitsaspekt vermag ich überhaupt nicht zu erkennen. Der läge darin, Doping noch besser und effektiver zu kontrollieren und damit zu bannen, eigentlich die ureigene Aufgabe der Verbände. Fairer macht das Verbot den Sport sicher auch nicht, denn wohlhabende Nationen mit vielen erfolgreichen Athleten haben von vornherein ein viel größeres Budget, um die Athleten zu fördern, auszubilden, zu trainieren und nicht zuletzt um Ersatz für Fluorwachse entwickeln zu lassen, die dessen unbestrittenen Eigenschaften nahe kommen. Da haben kleine Verbände im Vergleich keine Chance.

5. Hintergründe zum Erlass des Fluor-Verbots durch die FIS

Frank Zipp © Zipps

Wieso also hat die FIS das Verbot fluorierter Wachse erlassen? Ich sehe es so: Zum Verbot sämtlicher Fluorverbindungen in Gleitmitteln wurde die FIS nicht allein durch die neuen Grenzwerte, durch Umwelt- und Gesundheitsschutz motiviert. Das wird klar, wenn man sich ansieht, wie es zu der Entscheidung kam: Im Gremium der FIS (Council genannt), das diese Entscheidung im November 2019 traf, hat der Aufsichtsratsvorsitzende einer finnischen Skiwachsfirma Sitz und Stimme. Zu seiner Unterstützung brachte er zur entscheidenden Sitzung im November in Konstanz ein Aufsichtsratsmitglied einer norwegischen Skiwachsfirma mit, das gleichzeitig Vorsitzender des Langlaufkomitees der FIS ist. Dieses Komitee ist dem Council direkt unterstellt. Nach einer offenbar sehr kurzen Vorstellung der Idee eines Fluorwachsverbotes durch die beiden Herren (im Protokoll der Sitzung ganz weit hinten auf S. 103 in einem knapp einseitigen Abschnitt erwähnt) war der „Fluor-Bann“ beschlossen. Und bereits 4 Tage danach brachte eben diese finnische Firma ein komplettes fluorfreies Wachssortiment auf den Markt, das bereits im April 2019 zum Patent angemeldet worden war. Von einem finnischen Reporter darauf angesprochen, war das zeitliche Zusammentreffen „rein zufällig“ und wurde mit „Marketinggründen“ erklärt.

Ein Kommentar von Frank Zipp